Leserbriefe

Warum nicht vor der Wahl gesprochen?

Jochen Findeisen, Schlaitdorf, Pressesprecher Linke-Kreisverband Esslingen. Zum Artikel „Die Linke ist ein wirrer Haufen“ vom 2. Juli. Die deutsche Sprache und unser schwäbischer Dialekt sind an Worten reich, um Verachtung und Geringschätzung anderer Menschen auszudrücken. Diese Ausdrücke sagen wenig über die Zielperson derselben aus, aber viel über denjenigen, der sie gebraucht. Meist wird hier subjektiver Unmut geäußert. Wer sich selbst nicht ganz klar ist, was ihm an anderen genau missfällt, redet etwa von einer „Saubande“, von „Deppen“ und wenn man von der Nürtinger Zeitung interviewt wird – etwas vornehmer – von einem „wirren Haufen“! Nicht erhellender sind Behauptungen, jemand sei nicht „politikfähig“. Wo steht geschrieben, wann jemand „politikfähig“ ist? Kein allgemeiner Konsens besteht auch darüber, wann jemand „in dieser Demokratie angekommen ist“ und wann nicht. Vielleicht könnte ein Unternehmensberater weiterhelfen, in deren Sprache ständig irgendwer irgendwo ankommt. Was soll also das ganze substanzlose Gezeter? Es hat wohl damit zu tun, dass Wahlfrauen und -männer der Linken im dritten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl sich der Stimme enthalten haben. Wenn andere Parteien ein anderes Wahlverhalten der Linken gewollt hätten, so wäre wochenlang vor dieser Wahl genug Zeit gewesen, auf die Partei zuzugehen und auszuloten, wie sie sich in einem möglichen dritten Wahlgang verhalten würde.

Es hätte die Möglichkeit bestanden, zumindest den einen oder anderen aus den Reihen der Linken zu überzeugen. Tatsächlich war es aber so, dass erstmals nach dem zweiten Wahlgang mit den Linken gesprochen wurde. Gerhard Schröder hat einmal davon gesprochen, dass in der von ihm geführten SPD-Grünen-Koalition klar sein müsse, wer der „Koch“ und wer der „Kellner“ sei. Die Linke ist grundsätzlich zur Zusammenarbeit mit allen Parteien bereit. Sie ist aber nicht der „Kellner“, der sich bei Bedarf herbeiwinken lässt, wenn anderen ihr Süppchen anzubrennen droht. Viele Mitbürger sind heute schon weiter als die Parlamentarier, die an dem Interview teilnahmen.

Der Unmut über die Regierung Merkel/ Westerwelle ist so groß, dass sich an der Basis schon viele Bündnisse gebildet haben, in denen Sozialdemokraten mit Gewerkschaftern, Sozialverbänden, Linken und Grünen zusammenarbeiten.

Am 12. Juni haben in Stuttgart und Berlin über 40 000 Menschen gegen eine Politik demonstriert, von der Schutzschirme für Banken und Sparprogramme zu Lasten der Armen gebastelt werden und die Atomkraftwerke bis zum Sankt Nimmerleinstag betreiben möchte. Diese Bündnisse werden weiter wachsen. Die Akteure in denselben arbeiten konstruktiv zusammen. Sie haben Misstrauen und Beleidigungen schon lange als nicht weiterführend ad acta gelegt.

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