Leserbriefe

Union des „kulturlosen, verrohten Bürgertums“

Herbert Schölch-Heimgärtner, Neuffen. Zu „Statistik: Soziales nicht teurer als 2015“ vom 5. September.

„Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar“ – diese Aussage von Merz ist schlicht gelogen: Trotz vieler aus der Ukraine Geflüchteter mit Bürgergeldanspruch ist der Sozialanteil am Bruttoinlandsprodukt seit 2015 eher gesunken. Zudem hat das Sozialstaatsgebot Verfassungsrang und ist nicht relativierbar. Ebenfalls Verfassungsrang hat die Vermögenssteuer, von der Merz beim Sommerinterview die Lüge verbreitete, sie verstoße „in jeder Form gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes“. Das Verfassungsgericht monierte nur die Berechnungsgrundlage, die Immobilienbesitz unverhältnismäßig mild besteuerte. Statt den Fehler zu heilen, hinterzieht der Bund seither die Steuer, die den Ländern zusteht, und schenkt sie den Reichen – das ist ein Verfassungsbruch im Sinne von Artikel 14 (2) (Gemeinwohlbindung von Eigentum). Gänzlich aus dem Ruder läuft die sogenannte „Aktivrente“: Wer nach einem lukrativen Berufsleben in (auskömmliche) Rente geht, soll, wenn er weiterhin lukrativ zuverdienen will, 2000 Euro davon steuerfrei stellen können, vermutlich auch sozialversicherungsfrei. Wer mit seiner Rente aber in Altersarmut landet, kommt auch mit Zuverdienst selten in den Bereich der Steuerpflicht; sollte er aber mit Bürgergeld aufstocken wollen, wird ihm der Zuverdienst angerechnet – den Ärmsten wird also genommen, den Wohlhabenden geschenkt. Das ist die Welt des Multimillionärs Merz. Eine Studie über „Deutsche Zustände“ (Uni Bielefeld, 2010) stellte schon damals ein zunehmend kulturloses und verrohendes Bürgertum, ein ungeniertes Abwerten von Schwächeren und eine „soziale Vereisung“ fest, bei zunehmendem, aggressiv aufgeladenem rechtspopulistischem Potenzial in höheren Einkommensgruppen. Der Multimillionär Merz und sein Einpeitscher Linnemann sind erkennbare Gesichter dieser Tendenz.

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