Leserbriefe

Trügerische Versicherung

Herbert Schölch-Heimgärtner, Neuffen. Zu den Artikeln „Rentenbeitrag lohnt sich immer weniger“ vom 26. August und „Kostenfalle Riester“ vom 3. September. Die Berechnungen des (bankeigenen) Instituts für Altersvorsorge (DIA) und dessen Interpretationen lassen an der gesetzlichen Rentenversicherung zweifeln: Lohnt es sich noch, Rentenbeiträge zu zahlen? Die Frage ist allerdings eine Folge der überaus schlichten Weltsicht, die in der Wirtschaft (und Politik) grassiert und in unseren Köpfen installiert werden soll und die, im Bild des Versicherungslobbyisten Friedrich Merz, auf einem Bierdeckel ausreichend Platz findet. Gesetzliche und private Rentenversicherung scheinen nur vergleichbar, weil beide „Versicherung“ heißen. Die gesetzliche Rentenversicherung ist aber eine soziale Sicherung, ein Generationenvertrag, der auch dort in der Pflicht steht, wo Rendite keine Rolle spielt. Wenn das DIA die „Rendite“ der gesetzlichen Rentenversicherung gegen die der Privatversicherung – und dies überaus hypothetisch – stellt, steckt dahinter die Frage, ob man nicht Erstere abschaffen, die Rente quasi, wie so vieles, privatisieren solle.

Das hieße nicht nur, die Gesellschaft vollends zu teilen in jene, die sich private Vorsorge noch leisten können, und den immer stärker wachsenden Rest. Es hieße auch, den sozialen Gedanken den Interessen derer auszuliefern, die vor allem auf ihre eigene Rendite spekulieren: den Interessen der Versicherer. Wollte man indes seriös und verantwortlich rechnen, müssten die Lasten, die aus dem Sozialauftrag der Rentenversicherung resultieren, von der Versicherungswirtschaft mit übernommen werden, und deren Rendite würde damit in den Keller sinken. Ganz davon abgesehen, dass man über die Fähigkeit und den Willen von Banken und Versicherungen, mit anvertrautem Kapital verantwortungsbewusst umzugehen, seit der Bankenkrise geteilter Auffassung ist. Was es heißt, dass an einer privaten Versicherung erst mal die Versicherer selber verdienen möchten, zeigt der Bericht über die Riesterrente, an der sich verschiedene Gesellschaften hemmungslos bereichern. Deutlicher kann man nicht erklären, wo das oberste Ziel der Versicherungswirtschaft liegt. Es ist also erfreulich, wie innerhalb einer Woche in der Nürtinger Zeitung These und Gegenthese ermöglichen abzuwägen, ob man sich mit dem Gedanken anfreunden könnte, sich der Versicherungs-Wirtschaft derart auszuliefern. Ich denke, es wäre unbedingt besser, das bewährte (paritätische) Prinzip der Sozialversicherung und ihre – nicht am Profit Einzelner orientierte – Zielsetzung zu stärken. Und auch nicht länger die Feigheit der Politiker zu tolerieren, die die Augen verschließen davor, dass immer mehr Einkommensarten und -höhen von der Sozialpflicht nicht erfasst sind und die reinen Arbeitserträge (und Lebensarbeitszeiten) nicht endlos weiter belastet werden können.

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