Ausland

Nord-Stream-Verdächtiger soll nun bald nach Deutschland

Ein mutmaßlich Beteiligter an den Nord-Stream-Anschlägen darf nach einer Entscheidung eines italienischen Gerichts an Deutschland ausgeliefert werden. (Archivbild) Stefan Sauer/dpa

Mehr als drei Jahre nach den Anschlägen auf die Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee soll der mutmaßliche Drahtzieher nun bald nach Deutschland ausgeliefert werden. Italien wird den 49 Jahre alten Ukrainer nach dem grünen Licht durch das oberste Gericht in Rom vermutlich innerhalb der nächsten Tage überstellen. Die Anschläge auf das frühere deutsch-russische Prestigeprojekt hatten 2022 weltweit Schlagzeilen gemacht. Bislang wurde noch niemand dafür zur Rechenschaft gezogen.

Nach wochenlangem juristischem Hin und Her hatte der Kassationshof in Rom am Abend entschieden, dass der Ukrainer Serhij K. ausgeliefert werden darf. Die Richter bestätigten den Beschluss eines Berufungsgerichts aus der Vorinstanz. Geplant ist, dass K. von deutschen Polizeibeamten in Empfang genommen und dann nach Deutschland geflogen wird. Vermutlich kommt er in Hamburg vor Gericht. Er bestreitet die Vorwürfe. Alle anderen Verdächtigen sind auf freiem Fuß. 

Den Ermittlungen zufolge soll der Ukrainer als Leiter eines Siebener-Teams die Anschläge im September 2022 koordiniert haben. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm gemeinschaftliches Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und verfassungsfeindliche Sabotage vor. Festgenommen wurde er im Sommer während eines Familienurlaubs in Italien. Seither saß er in einem Hochsicherheitsgefängnis. Zwischenzeitlich war er im Hungerstreik, weil er sich schlecht behandelt fühlte. 

Die schriftliche Begründung des Kassationshofs liegt noch nicht vor. Der italienische Anwalt des Ukrainers, Nicola Canestrini, sagte zu dem Beschluss: «So groß die Enttäuschung auch ist: Ich vertraue auf einen Freispruch in Deutschland.» Auch er erwartet eine Auslieferung «innerhalb der nächsten Tage». In Deutschland wird der Ukrainer von einer Kanzlei aus Berlin vertreten. Einen Termin für den Beginn des Prozesses gibt es noch nicht. 

Vor dem Beschluss des Kassationshofs hatte es über Wochen hinweg ein juristisches Hin und Her gegeben. Eine erste Erlaubnis zur Auslieferung hatte das oberste Gericht noch wegen Verfahrensfehlern auf italienischer Seite gestoppt. Dieses Mal bestätigte es die Entscheidung jedoch. Denkbar wäre, dass der Fall auch noch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg landet. Canestrini sagte der dpa jedoch, er werde diesen Weg «wahrscheinlich nicht» beschreiten.

Der Ukrainer war im August auf Grundlage eines europäischen Haftbefehls festgenommen worden, als er mit seiner Frau und seinen Kindern im Hinterland des bekannten Badeortes Rimini Urlaub machte. Offenbar rechnete er nicht damit, dass ihm der Aufenthalt in Italien zum Verhängnis werden könnte. Zuvor soll er mehrfach in andere europäische Länder gereist sein, ohne dass ihm etwas geschah. 

Die Anschläge auf die Nord-Stream-Leitungen nahe der dänischen Insel Bornholm hatten weltweit Aufsehen erregt. Ein halbes Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine beschädigten mehrere Sprengungen die beiden Pipelines so sehr, dass kein Gas mehr durchgeleitet werden konnte. Durch Nord Stream 1 war zuvor russisches Erdgas nach Deutschland geflossen. Nord Stream 2 war noch nicht in Betrieb. 

Nach Überzeugung der deutschen Ermittler sollen in dem Siebener-Team auch vier Taucher dabei gewesen sein. Für die Anschläge soll die Truppe in Deutschland eine Segeljacht namens «Andromeda» angemietet haben, die sie dann hinaus auf die Ostsee brachte. Die Explosionen ereigneten sich in der Nähe der dänischen Insel Bornholm. 

Ein weiterer Verdächtiger, ebenfalls ein Ukrainer, saß zeitweise in Polen in U-Haft. Dort lehnte die Justiz eine Auslieferung an Deutschland jedoch ab. Inzwischen ist der Mann wieder frei.

© dpa-infocom, dpa:251120-930-315882/1

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