Israel hat die Übergabe weiterer sterblicher Überreste einer bereits beigesetzten Geisel als klaren Verstoß der Terrororganisation Hamas gegen das Gaza-Abkommen bezeichnet. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu werde mit den Leitern der Sicherheitsbehörden über eine Reaktion beraten, teilte sein Büro mit.
Die von der Hamas an Israel übergebenen sterblichen Überreste gehören demnach zu einem Israeli, dessen Leiche die Armee im Herbst 2023 nach Israel brachte und der beigesetzt wurde. Zuvor hatten israelische Medien gemeldet, dass es sich bei der am Montagabend übergebenen Leiche nicht um eine neue, noch vermisste Geisel handelt. In Israel löste die Nachricht Entsetzen aus.
Die sterblichen Überreste, die die Hamas ausgehändigt hat, gehören israelischen Angaben zufolge einem Mann namens Ofir Tzarfati. Der Israeli war am 7. Oktober 2023 vom Nova-Festival entführt und später für tot erklärt worden. Seine Familie bestätigte laut dem Forum der Geisel-Angehörigen die kürzliche Überführung einige seiner sterblichen Überreste.
Den Angaben zufolge waren bereits im März 2024 weitere sterbliche Überreste des Mannes nach Israel überführt worden. «Dies ist das dritte Mal, dass wir gezwungen wurden, Ofirs Grab zu öffnen», teilte seine Familie mit. Sie sprach von einer «abscheuliche Manipulation, die das Abkommen sabotieren und die Bemühungen, alle Geiseln nach Hause zu bringen, zunichtemachen sollte». Die Familie lebe mit einer Wunde, die sich immer wieder öffne. Berichten zufolge war Tzarfati 27 Jahre alt.
Das Forum der Geisel-Familien forderte ein sofortiges Treffen mit Netanjahu.
Wie die Nachrichtenseite «ynet» und die «Times of Israel» berichteten, erwägt Israel, seine im Gazastreifen kontrollierten Gebiete auszuweiten. Laut dem israelischen Sender Kan werden mögliche Maßnahmen aber nur in Abstimmung mit den USA unternommen. Demnach ist auch im Gespräch, die humanitäre Hilfe für die Bevölkerung im Gazastreifen zu verringern.
Im Rahmen einer ersten Phase des von den USA vorangetriebenen Friedensplans muss die Hamas insgesamt 28 Leichen übergeben. Bislang sind es nur 13. US-Präsident Donald Trump hatte am Samstag den Druck auf die Hamas erhöht, die verbleibenden toten Geiseln schnell zu übergeben.
Die Hamas gibt an, dass es für sie schwierig sei, die Toten zu finden, weil sie unter den Trümmern bombardierter Gebäude und Tunnel verschüttet seien. Eine Sprecherin der israelischen Regierung warf den Islamisten vor, zu lügen. Israel wisse, dass die Hamas die sterblichen Überreste finden könne.
Der rechtsextreme israelische Finanzminister Bezalel Smotrich kündigte an, Netanjahu auffordern zu wollen, alle bislang im Rahmen des Deals freigelassenen und ins Westjordanland gebrachten palästinensischen Häftlinge wieder festnehmen zu lassen.
Israel musste gemäß der Vereinbarung im Gegenzug für die Rückkehr der 20 noch lebenden Geiseln rund 250 zu teils lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilte Häftlinge freilassen, darunter wegen Mord und Beteiligung an Terroranschlägen verurteilte. Palästinensischen Angaben zufolge kamen 88 von ihnen zurück ins Westjordanland. Viele wurden wegen der Schwere ihrer Verbrechen im Rahmen des Deals auch nach Ägypten gebracht. Israel musste zudem 1.700 im Gazastreifen festgenommene Palästinenser freilassen.
Die Hamas hatte bereits in der Vergangenheit anstelle von sterblichen Überresten der aus Israel Entführten palästinensische Leichen übergeben. Ob wissentlich oder versehentlich ist unklar. Vor zwei Wochen übergab sie zuletzt statt einer Geisel eine palästinensische Leiche.
Im Februar hatte die Terrororganisation im Rahmen eines Waffenruhe-Abkommens anstelle der Leiche der Geisel Schiri Bibas, die auch deutsche Staatsbürgerin war, den Leichnam einer Palästinenserin übergeben. Die Terrororganisation räumte später einen möglichen Irrtum ein und übergab schließlich die richtige Leiche.
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