Leserbriefe

Die Schuld und das Leid sehen

Klaus von Sichart, Neckartenzlingen. Zum Leserbrief „Steinbach und die Polen“ vom 27. November. Wir, die Deutschen, haben 1939 unter fadenscheinigen Gründen Polen überfallen und besetzt. „Unser Führer“ hat am 6. Oktober 1939 vor dem Reichstag die „ethnische Neuordnung Europas“ und die „Germanisierung“ der annektierten polnischen Gebiete angekündigt. Wir, die Deutschen, haben 0,8 Millionen Polen als Zwangsarbeiter ins Reich verschleppt und drei Millionen Polen jüdischer Herkunft in Ghettos gepfercht und dann ermordet (Zahlen nach: Deutsche Forschungsgemeinschaft 2006). Mit Recht schreibt Emil Neuscheler: „Es bringt nichts, sich vor unangenehmen Wahrheiten zu drücken, eine Verständigung kann nur auf gleicher Augenhöhe erfolgen.“

Es ist unangenehm, daran erinnert zu werden, dass auch wir schon ab 1939 die planmäßige Vertreibung, „Umvolkung“ genannt, mit brutaler Konsequenz betrieben haben. Die völkerrechtswidrige Vertreibung der Deutschen aus ihrer angestammten Heimat ist die tragische, aber auch konsequente Folge unseres Krieges und unserer völkerrechtswidrigen Vertreibung von Polen aus ihrer Heimat. Nun soll die Berliner Gedenkstätte ein Ort der Versöhnung werden, an dem alle Vertreibungen – in gleicher Augenhöhe! – geächtet werden. Vorsitzende einer solchen Einrichtung kann aber nicht werden, wer erwiesenermaßen nur die Schuld der Polen und nur das Leid der Deutschen sieht.

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