Neuffen

Kommentar zu Vorfall in Neuffen: Hilfe statt Hetze

Dass ein 36-Jähriger jahrelang Neuffen terrorisiert haben soll, ist eine Lüge. Eine künstlich herbeigeführte Empörung hilft niemandem weiter, meint Redaktionsleiter Kai Müller.

Die Neuffener Innenstadt: Hier geht es normalerweise sehr beschaulich zu. Foto: Kai Müller

NEUFFEN. Ein nackter Mann rennt durch Neuffen, offenbar in einem geistig verwirrten Zustand. Wer dabei war, wird diese Bilder nicht so schnell vergessen. Er schlägt auf Autos ein, verhält sich aggressiv gegenüber Kindern und geht auch einen älteren Herrn an. Andere Passanten helfen und verhindern wohl Schlimmeres – oder auch nicht. Das kann niemand sagen. Fakt ist: Es wurde niemand ernsthaft verletzt – Gott sei Dank. Die Polizei kann den 36-Jährigen, einen Baum von einem Mann, ohne Probleme in Gewahrsam nehmen und in die Fachklinik bringen. Das Rauschen im Online-Blätterwald ist gewaltig. Überregionale Medien greifen das Thema auf, schreiben munter voneinander ab und erwecken den Eindruck, dass dieser Mann seit Jahren Neuffen terrorisiert und Polizei und Kommune wieder mal auf ganzer Linie versagen. Das ist eine Lüge. Der 36-Jährige ist gerade zweimal auffällig geworden.

Nur zwei Polizeimeldungen

Beim ersten Mal im Januar hat er in seiner Wohnung randaliert und gedroht, vom Dach zu springen. Das hat er dann auch getan, allerdings vom Vordach, ernsthaft verletzt hat er sich damals nicht. Das kann man als Suizidversuch werten. Strafrechtlich relevant war das nicht. Was ist danach passiert? Nichts, was sich in einer Polizeimeldung findet. Bis eben zum vergangenen Donnerstag. Der Vorfall ist keineswegs auf die leichte Schulter zu nehmen und es ist ein deutliches Warnsignal, dass Handlungsbedarf besteht und ein Mensch Hilfe braucht. So etwas darf sich keineswegs wiederholen. Polizei und Ärzte müssen darauf ein Augenmerk legen und werden dies hoffentlich auch tun, aber sie sind an rechtliche Vorgaben gebunden.

Doch der nackte Mann aus Neuffen steht eben keineswegs für das Dauer-Versagen des Systems, wie es mancher ins Netz hinausblökt und dabei nur zu gern gegen Flüchtlinge hetzt. Ob sich diese Apologeten des Niedergangs wohl auch für Neuffen interessiert hätten, wenn der Mann nicht dunkelhäutig und wohl auch ein Flüchtling gewesen wäre? Der, wohlgemerkt, selbst seinen Lebensunterhalt verdient. Wohl kaum. Das verstellt dann den Blick aufs große Ganze.

Bessere Versorgung psychisch kranker Menschen

Fakt ist eben auch, dass psychisch auffälligen Menschen in diesem Land besser geholfen werden muss. Die Fälle nehmen deutlich zu und manch einer ist eine potenzielle Gefahr für seine Mitmenschen. Das ist eine richtig große Aufgabe. Polizei und Kliniken stoßen da an ihre Grenzen und werden an den Pranger gestellt, wenn Menschen verletzt oder gar getötet werden. Die Gemengelage ist kompliziert. Es gilt, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass psychisch auffällige Menschen die richtige Behandlung bekommen. Auch diejenigen, die therapieunwillig sind und immer wieder mit der Polizei in Konflikt geraten und womöglich für sich und andere zur Gefahr werden. Der Mann aus Neuffen gehört übrigens nicht in diese Kategorie. Er befindet sich bereits in Behandlung. Das ist natürlich keine Garantie. Doch er scheint nicht zu den Menschen zu gehören, die Hilfe ablehnen. Das ist ein gutes Zeichen.

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