Leserbriefe

Wie Überschriften falsch sein können

Herbert Schölch-Heimgärtner, Neuffen. Zum Artikel „Linksextreme unterwandern Fridays for Future“ vom 26. Juli. Die reißerische Überschrift machte mich hellhörig. Dass im Artikel dann aus der Unterwanderung erst versuchte Unterwanderung und schließlich „einzelne, wenig erfolgreiche Versuche der Einflussnahme“ wurden, bestätigte mein Misstrauen. Der „Antrag der AfD“, der der Redaktion der Stuttgarter Nachrichten (und nun auch mir) vorliegt, nennt als Begründung einen Bericht der „taz“ mit der Überschrift „Geheimdienst sät Zwietracht“, in dem am 14. April über Versuche des Hamburger Verfassungsschutzes berichtet wurde, Meldungen über angebliche Infiltrationen linker Gruppen zu streuen. Damit sollten die vielgestaltigen Bewegungen, die gegen den Klimawandel aktiv sind, gespalten werden. Die angeführte „Interventionistische Linke“, eine linke Sammlungsbewegung, von der der Verfassungsschutz behauptet, sie sei linksextrem und habe an Klimaschutz und Umwelt eigentlich kein Interesse, sieht sich indes als solidarische Verbündete aller ernsthaften Klimaschützer und bestreitet den ihr unterstellten Versuch, „Fridays for Future“ zu vereinnahmen.

Letztlich muss auch der Geheimdienst bekennen, dass keine Unterwanderung stattgefunden hat. Entweder hat Nils Mayer den ihm vorliegenden „Antrag der AfD“ nicht gelesen, oder er unterschlägt das pikante Detail der Begründung bewusst. Den „taz“-Artikel wird er eher nicht kennen. Es ist festgefügt als Weltbild und Sprachgebrauch bei Rechtspopulisten wie Geheimdiensten, dass dort, wo sich Widerstand gegen unhaltbare Zustände regt (hier: Untätigkeit bis tätige Verhinderung angesichts der drohenden Klimakatastrophe), angeblich „Linksextreme“ am „Unterwandern“ sind. Das spart mühsames Argumentieren und Begründen.

Dass es in Nils Mayers Artikel so aussieht, als seien Geheimdienst und AfD in trauter Sorge vereint, um „Fridays for Future“ von dem Bösen zu erretten, ist eine irrwitzige Vorstellung. Dass aber beide in großer Eintracht (in gewisser Weise „entgrenzt“) – die einen zum Erhalt der „Ordnung“ samt all ihren Vermeidungsstrategien, die anderen als offene Leugner des Klimawandels – vor allem auf Zwietracht in der Klimabewegung setzen und dabei mit dem Etikett „Linksextremismus“ etwa so verantwortungsvoll umgehen wie Erdogan oder Putin mit dem des „Terrorismus“, ist nicht nur aus diesem Zusammenhang sehr vertraut. Wenn die Stuttgarter Nachrichten und ihr Autor völlig unkritisch die Sicht und Wertung von AfD und Verfassungsschutz übernehmen und statt einfacher Recherche, was journalistische Pflicht gewesen wäre, auf reine Kolportage setzen, ist das meines Erachtens miserabler Journalismus.

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