Leserbriefe

Wie Ölsardinen in kleinen Zügen

Thaddäus Kunzmann, NT-Oberensingen. Zu den Artikeln „Bahn-Misere: Was kann das Land tun?“ vom 15. August und „Immer Ärger mit der Bahn“ vom 30. Juli.

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann wollte mit der Ausschreibung der Bahnleistungen für deutlich weniger Geld mehr Zugkilometer generieren. Dabei ist es ein einfacher Dreisatz: Mehr Zugkilometer für weniger Geld heißt in der Konsequenz auch weniger Qualität. Als Gelegenheitspendler gefällt es mir natürlich, dass zwischenzeitlich im Halbstundentakt Züge in Richtung Stuttgart fahren. Als Berufspendler wiederum bin ich dringend auf ausreichend dimensionierte und pünktliche Züge zu den Hauptverkehrszeiten angewiesen. Oftmals kommen zu den pendlerstarken Zeiten Kurzzüge an, in denen sich die Leute stapeln.

Wenn der Zug aus Stuttgart abends sechs oder sieben Minuten später in Nürtingen einfährt, sind meine Anschlussbusse weg – und ich muss (sofern ich Glück habe) eine halbe Stunde am Busbahnhof warten. Nach meiner subjektiven Wahrnehmung habe ich das in der Woche zwei- bis dreimal erlebt.

Hermann hat die Bahnleistungen nach Preis vergeben. Quantität statt Qualität. Der Auftrag ging an Abellio und niemand im Verkehrsministerium hat beim Rechnen gemerkt, dass der Preis nicht auskömmlich sein kann. Abellio ging insolvent. Der Pendler war halt am Schluss der Dumme. Dass er nun, da das Kind in den Brunnen gefallen ist, neues Geld vom Bund verlangt, um die Probleme zu lösen, die es ohne ihn gar nicht geben würde, ist einfach nur frech – aber wieder mal ein richtiger Hermann. Genau dafür liebt ihn die Landespresse, die den Grünen gegenüber sowieso sehr nachsichtig ist.

Das 9-Euro-Ticket hat zudem im Praxistest gezeigt, dass der von Hermann angekündigte Anstieg der Fahrgastzahl auf das Doppelte mit diesen Zügen nicht zu machen ist. Außer, man will, dass sich die Pendler täglich wie Ölsardinen in zu kleine Züge zwängen. Der Witz ist, dass das Land nun auf eigene Rechnung genau jene Doppelstockzüge neu bestellt, die sie vorher über ihre Ausschreibung faktisch ausgeschlossen hat. Dass diese Züge erst in drei oder vier Jahren zur Verfügung stehen, ist für die Pendler kein Trost.

Persönlich habe ich wenig Hoffnung, dass sich für uns Nürtinger bis 2026 noch etwas verbessert. Erst die zweite Bahnstrecke über den Flughafenbahnhof (der hoffentlich nicht weiter durch Klagen der sogenannten Naturschutzverbände verzögert wird) sowie die S-Bahn (die ebenso von der Fertigstellung des Flughafenbahnhofs abhängt) werden die Lösung bringen. Beides kommt dann aber dank Stuttgart 21 und nicht wegen Hermann.

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