Leserbriefe

Was bedeutet denn Glauben?

Udomar Rall, Nürtingen. Zum Leserbrief „Hilfreich für den bedrängten Glauben?“ vom 30. Mai. Die Heilsversprechen der Kirchen halte ich für irreführend. Vergebung der Sünden durch den Glauben verstehen viele falsch. Was bedeutet denn Glauben? Zu glauben, dass Jesus Gottes Sohn ist, dass er gelebt hat und vom Tod auferstanden ist, das allein führt mit Sicherheit nicht zum Heil, auch nicht der Besuch des Gottesdienstes und das Beten des Vaterunsers. Das allein ist, wie wenn man den Weg zum Ziel auf einer Landkarte studiert. Geht man aber den Weg nicht selbst körperlich, kommt man niemals am Ziel an. So ist es auch mit der christlichen Lehre.

Der sehr, sehr lange Weg zum vollständigen Heil bedeutet im späten Stadium vollständige Gewaltlosigkeit gegenüber allen Wesen, auch gegenüber Tieren, kein Töten, kein Verletzen, kein Ausnutzen, die Lösung von allen irdischen Bindungen, von allen Wünschen und Sehnsüchten, die vollständige Auflösung jeglicher Abneigung und Hasses, die bedingungslose Liebe zu allen Wesen. Nun sind wir alle keine Heiligen wie Jesus. Aber wir können uns auf den Weg machen. Eugen Drewermann ist auf dem Weg. Andere sprechen nur davon und begnügen sich damit, an Schriften und Dogmen festzuhalten. Das ist kein lebendiges Christentum, kein wirklicher Glauben.

Sieht man sich die Geschichte der „Christenheit“ an, dann ist nicht zu erkennen, dass die wirkliche Lehre von vielen verstanden wurde. Macht, Geld und Triebe waren wichtiger, als sich auf den Weg zu machen, sowohl für die Allgemeinheit als auch für die Kirchen: Eine lange Kette von Religionskriegen, von Ablasshandel, Inquisition mit millionenfachem Mord im Zeichen der Kirche, von Völkermord und Raub, von Sklavenhandel, der Unterstützung faschistischer Systeme, heute von Massentierhaltung und Umweltzerstörung in großem Ausmaß.

Wo bleibt die große Erneuerung im Sinne der christlichen Lehre? Von den Kirchen geht sie kaum aus. Die hängen leider bei der kollektiven Bewusstseinsentwicklung hinterher und beschäftigen sich zu sehr mit Theorien und Erörterungen. Wirkliche Christen auf dem Weg sind manchen Kirchen und Zeitgenossen ein Dorn im Auge.

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