Leserbriefe

War es irgendwann in Deutschland besser?

Peter Reinhardt, Neckartenzlingen. Ich kam vor Kurzem aus dem Urlaub zurück und habe die entgangenen Nürtinger Zeitungen nachgelesen. Dabei fiel mir in den Leserbriefspalten, dort wo es über das Regionale hinausgeht, auf, wie heftig und unverhältnismäßig über unsere Gesellschaft gemotzt wird. Jeder, der irgendwo etwas sieht, das er für falsch hält, glaubt, sich dahingehend äußern zu müssen: Deutschland ist in Gefahr!, der Staat hat versagt!, alles ganz furchtbar! Zwar ist die Zukunft allemal ungewiss, und wer mit Sicherheit behauptet, es werde so oder so kommen, der ist ein Narr. Trotzdem bin ich ziemlich sicher, dass Deutschland in den letzten Jahrzehnten einen solchen Zuwachs an Wohlstand, ein solches Maß an Sicherheit im Inneren und im Äußeren vorzuweisen hat, wie kaum je zuvor. Sie werden wohl zu den glücklichsten Jahren der Bundesrepublik zu zählen sein.

Natürlich gibt es allerlei zu kritisieren. Wie sollte es anders sein, wir leben nun einmal nicht im Paradies. Aber gewiss: besser ist es uns in Deutschland noch nie gegangen. Wie es in Zukunft weitergeht, können wir nicht wissen. Und die vielen heftigen Klagen? Ich vermute mal, vielen Leuten geht es weniger um die in der Tat vorhandenen Missstände als darum, ihre eigen Unzufriedenheit rauszuschreien; weil das gerade „in“ ist.

Wer etwas verbessern will, sollte nicht nur schimpfen, sondern in den zuständigen Institutionen – Vereinen, Parteien, auch im Gemeinderat oder in Initiativen – durch mühsame Mitarbeit seinen Teil zum Gemeinwohl beitragen. Alles andere ist kontraproduktiv und schadet dem Ganzen – das zwar Mängel aufweist, in dem es aber im Ganzen überaus geordnet zugeht. Man sehe nur mal ins Ausland oder in die Vergangenheit.

Seien wir doch ehrlich: war es irgendwann in Deutschland besser als heute? Lebt es sich irgendwo auf der Welt für den Durchschnittsbürger besser als bei uns? Was soll die Panikmache? Als ich studierte, hatte ein wohlbestallter Professorenhaushalt mit neun Personen im gemieteten Haus kein fließend warmes Wasser, um mal ein Beispiel zu nennen. Oder: man sehe auf die Autodichte: bei uns kommt zurzeit ein Auto auf zwei Einwohner. Wo gibt es das, wo gab es das? Die Beispiele ließen sich häufen. Mängel ansprechen – klar! Aber wer dann immer gleich das Ganze in Frage stellt, der macht es sich zum Schaden des Ganzen sträflich leicht. Denn was ist denn die Alternative zu unserem Gemeinwesen? Orbán, Trump – Hitler? Oder gar Syrien? Ist oder war da irgendetwas besser? Unterdrückung allerorten. Ein vernünftigerer, ein humanerer Staat? Oh je! Klar: fehlerfrei sind wir nicht. Bisweilen hilft es gegen den Frust auch, wenn man sich etwas umfassender informiert.

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