Leserbriefe

Schon wieder alles vergessen ?

Reinmar Wipper, Nürtingen. Zum Artikel „Vorreiter in Sachen Wirtschaft“ vom 27. Mai. Die Nürtinger Sozialdemokraten reden von einem „Katalog von Vorschlägen, wie der Wirtschaftsbeirat stärker in die Wirtschaftspolitik der Stadt eingebunden werden kann“. Man reibt sich verwundert die Augen. Noch in der Gemeinderatssitzung vom 17. März hat der Fraktionsvorsitzende der SPD handstreichartig dafür gesorgt, dass „TOP 3: Bericht des Wirtschaftsbeirats“ mir nichts, dir nichts abgesetzt worden ist. Der Sprecher des Beirats kandidiert nämlich auf der Liste der UFB. Ihm sollte kein Wahlkampfpodium gezimmert werden. Partner und Anstifter des Parlamentsdonners war die CDU. In der Wahlwerbung tönen die SPD-Kandidaten: „Für stärkere Einbindung unserer Bürgerinnen und Bürger in kommunalpolitische Entscheidungen“. Dazu hat die SPD im Gemeinderat das geschlagene Jahr 2008 über Gelegenheit gehabt. Mehr als 5000 Menschen haben gegen eine Ansiedlung eines Hochregallagers auf dem Großen Forst mit ihrer Unterschrift protestiert. Über 3000 Bürgerinnen und Bürger haben einen Bürgerentscheid gefordert.

Und die SPD? Sie hat den Bürgerwunsch ignoriert und den Bürgerentscheid abgelehnt aufgrund juristischer Haarspalterei einer eigens dafür beauftragten und als Killer von Bürgerentscheiden bekannten Stuttgarter Kanzlei. In heldenhafter Nibelungentreue hat die SPD ihren roten Oberbürgermeister gestützt, der sein Prestigeprojekt mit der Firma Boss auf Biegen und Brechen durchziehen wollte. Heute, vor der Wahl, hört man keinen Mucks mehr von der Boss-Allianz aus CDU, UFB, SPD und FDP. Man zieht das Genick ein und flötet von Nürtingen, Heimat und Zukunft. Manche von „Biss“ statt von „Boss“.

Die Lieblingszahlen von 2008 – „400 Arbeitsplätze“ und „500 000 Euro Gewerbesteuer“ – werden gemieden wie saurer Most. Ein altgedienter Nürtinger Kommunalpolitiker sagte mir kürzlich: „Ach, weißt du, die Leute vergessen schnell. Die Herrschaften, die seinerzeit den Atombunker wollten, sind kläglich untergegangen und haben bei der nächsten Wahl genauso viele Stimmen bekommen wie vorher.“ So was macht allerdings die Wahl am übernächsten Sonntag tatsächlich spannender, als es der konturlose Wahlkampf der Boss-Fraktionen vermuten lässt.

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