Leserbriefe

Kein Parlament mit Regierungsmehrheit

Reinmar Wipper, Nürtingen. Zum Artikel „Ein Neuanfang im Interesse der Stadt“ vom 10. Januar. Auf die Frage „Schlagen Sie eigentlich Ihre Frau immer noch?“ gibt es keine vernünftige Antwort: Ob Ja, ob Nein, es bleibt immer etwas hängen. Weil es keine Frage, sondern eine Unterstellung ist. Auch der Satz „Giftige politische Auseinandersetzungen, persönliche Beleidigungen und Missgunst sollten im Gemeinderat keinen Platz haben“, vernommen bei der Amtseinsetzung des OB, gehört in diese Kategorie, denn er war ja nicht als allgemeine Norm gemeint, sondern Teil einer rückblickenden Bilanz.

Im Nürtinger Gemeinderat habe ich hin und wieder scharfe Worte vernommen. Das gehört zu jedem Parlament (parlare gleich sprechen). Im Zentrum aber liegt das Hauptgeschäft, unaufgeregt und mit wechselnden Mehrheiten, häufig sogar einstimmig. Dieser Gemeinderat muss nicht zur Ordnung gerufen werden. Diesem Gemeinderat täte es gut, wenn ihm die politische Auseinandersetzung dort, wo sie nötig ist, tatsächlich gewährt würde. Zu schnell jedoch werden Debatten durch regulierende Kommentare des Vorsitzenden zersäbelt oder von Geschäftsordnungsanträgen abgewürgt. Nicht selten soll es genügen, wenn jede Fraktion eine Stellungnahme abgibt.

Kurz vor dem Jahreswechsel ist einmal mehr mein Fraktionsvorsitzender Dieter Braunmüller als Repräsentant der „Opposition“, gar als „Fundamental-Opposition“ bezeichnet worden. Auch wenn das spaßig gemeint sein sollte, ist diese fast schon traditionelle Kopfnuss für einen Mann, der sich überdurchschnittlich für seine Stadt einsetzt, schon lange nicht mehr lustig. Es sei denn, abwägende Kritik an Inhalten und Verfahren führten zu diesem Etikett.

Außerdem ist ein Gemeinderat in Baden-Württemberg kein Parlament mit Regierungsmehrheit auf der einen und Opposition auf der anderen Seite. Und der vorsitzende Bürgermeister ist Moderator, aber nicht Regierungschef mit einer Regierungsmehrheit hinter sich. Ein Bürgermeister muss sich „seine“ Mehrheiten bei jedem Thema neu zu schaffen versuchen. Und das ist in Nürtingen besonders spannend, weil, im Gegensatz zu früher, drei ungefähr gleich große Fraktionen zu moderieren sind. Darauf müsste man schauen, wenn „der Blick nach vorne“ gehen soll.

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