Leserbriefe

Geht am Kern vorbei

Andreas Roß, Frickenhausen-Tischardt. Zum Artikel „Die Ware Opfer“ vom 23. März. Christoph Grote geht in seinem Leitartikel über die Forderung der betroffenen Winnender Familien, die Medien bei Gewaltexzessen wie in Winnenden zur Anonymisierung des Täters zu verpflichten, am Kern der Sache vorbei. Kriminologen haben längst nachgewiesen, dass die Berichterstattung der Massenmedien über Amokläufe dazu beiträgt, dass Nachahmungstäter in ihren finsteren Amok-Plänen bestärkt werden. Bei Amokschützen fand man Zeitungs- und Internetartikel von vergangenen Amokläufen. Im Internet werden Bilder von Amokschützen in den einschlägigen Foren mit Ehrfurcht herumgereicht. Es ist die bittere Wahrheit: Die Medien tragen mit ihrer hemmungslosen Darstellung des Amoktäters zu dessen Mystifizierung bei und verhelfen dem Täter zu seinem Ziel, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen.

Im Pressekodex haben sich die deutschen Journalisten darauf verpflichtet, bei Selbstmorden wegen der möglichen Nachahmungsgefahr äußerst zurückhaltend zu berichten. Warum tun sie bei Amokläufen, bei denen die Nachahmungsgefahr ebenfalls sehr groß ist, genau das Gegenteil? Grote schätzt die Forderung nach der Anonymisierung des Amoktäters in der Berichterstattung als Einschränkung der Pressefreiheit ein. Warum verpflichtet sich die Presse so wie bei Suizidfällen nicht auch bei Amokläufen freiwillig zur Zurückhaltung?

Es gibt keine „Amok-Prävention“. Dennoch darf sich die Presse vor ihrem Beitrag nicht drücken, damit Nachahmungstätern der Zugang zu „Vorbildern“ erschwert wird.

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