Leserbriefe

Europa und die Menschen

Johann Kostalek, Ostfildern. Zum Artikel „Das Ja-aber-Urteil der obersten Richter“ vom 1. Juli. Trotz Jubelstimmung („Vertrag muss nicht mehr zerpflückt werden“) bei den Europapolitikern, die naturgemäß an ihren Stühlen kleben und ihre luxuriöse Daseinsberechtigung mit aller Kraft verteidigen, sei es erlaubt, außer pro auch kontra zu argumentieren und vor allen Dingen auch Fakten darzulegen. Im Klartext: Karlsruhe billigt den EU-Reformvertrag unter bestimmten Auflagen, das heißt, es verlangt auf nationaler Ebene eine Stärkung der parlamentarischen Integrationsverantwortung. Der Lissabon-Vertrag ohne diese Auflagen hätte Deutschland regelrecht entmündigt, das heißt, die Karlsruher Richter haben sozusagen die politische und nationale Selbstkastration, die der Vertrag ohne diese Auflagen ausgelöst hätte, gestoppt.

Schlimm ist, dass Bundes- und Europapolitiker immer noch von einem Parlament fantasieren, das in der EU eine ähnliche Machtposition erringen könnte wie nationale Parlamente der einzelnen Mitgliedsstaaten. Schlimm ist auch, dass sie ihre Politik der Bevormundung trotz aller wohlfeilen Beschwörungen von Bürgernähe fortsetzen. Darum ist es von äußerster Notwendigkeit, dass das oberste Gericht den bestehenden Vertrag (übrigens ein Textmonster im dreisten Bürokraten-Chinesisch) nur mit zusätzlichen entsprechenden Auflagen zur Ratifizierung durch den Bundespräsidenten freigibt.Die deutsche Entscheidung wird in der EU Nachahmer finden. Europa ist eine gute und notwendige Sache. Selbstbestimmung bleibt aber das höchste Gut. Und, last but not least, man kann nicht zirka 600 Millionen Menschen aus 27 verschiedenen Nationen, deren Wurzeln jahrhundertelang in allen menschlichen Bereichen gewachsen und verankert sind, „über Nacht“ in einen EU-Superstaat homogenisieren. Trotz aller Euphorie der „EU-Eliten“, Europa muss mit den Menschen wachsen.

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