Leserbriefe

Einen Teil der Geschichte vergessen?

Eugen Wahl, Nürtingen. Zum Artikel „Azubis zu sozialem Engagement ermutigt“ vom 15. Februar. Dass die sozialen Leistungen für die Heller-Betriebsangehörigen nicht nur in der Gegenwart ein breites Spektrum abdecken, wie in der Zeitung über die Verleihung des „Eis der Heckschnärre“ an die Gebrüder Heller nachzulesen war, sondern schon immer Teil der Familientradition im Hause Heller gewesen sein muss, darüber informiert auch das empfehlenswerte Buch über die Geschichte Nürtingens 1918 – 1950. Trotz und gerade von so viel Lob, dem ja auch von höchster Stelle durch den stellvertretenden Ministerpräsidenten Dr. Nils Schmid (SPD) Tribut gezollt wurde, möchte ich auf einige dunkle Flecken in der Firmengeschichte hinweisen, die anscheinend weder in der Lobes- noch in der Dankesrede der Erwähnung wert schienen.

Im Jahr 1944 zum Beispiel bestand die Hälfte der Belegschaft aus zwangsverpflichteten Arbeitskräften aus West- und hauptsächlich aus Osteuropa. Sowohl im firmeneigenen Mühlwiesenlager haben sowohl der Lagerleiter als auch im Betrieb in der Neuffener Straße Obermeister und die Chefs selbst mit Hand angelegt, wenn es darum ging, den Zwangsarbeitern die Ordnung in einem „nationalsozialistischen Musterbetrieb“ im wahrsten Sinne des Wortes „eindrücklich“ nahezubringen. Nach Ende des Tausendjährigen Reiches hat solche Vorfälle der öffentliche Kläger im Entnazifizierungsverfahren und spätere Richter am Oberlandesgericht Stuttgart Ernst Planck in einer fast 50-seitigen Anklageschrift akribisch aufgelistet.

Hätte man diese Seite des 1894 gegründeten und heute führend am Weltmarkt tätigen Familienunternehmens in wenigen Sätzen erwähnt (wie manche Unternehmen dies schon vor Jahren getan haben!), hätte man aus Anlass der Preisverleihung nicht nur Behinderte von heute, sondern gleichzeitig auch einen Teil der eigenen Geschichte am Standort Nürtingen „inkludieren“ können! Leider hat diese Chance auch der SPD-Ortsverband verpasst, dem bei seinem 100-jährigen Jubiläum die Geschichte der Arbeiterbewegung im „anderen Nürtingen“ noch wichtig war.

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