Leserbriefe

Die Kirche und die Liebe Gottes

Dr. Gerhard Steigerwald, Nürtingen. Zum Artikel „So viele Kirchenaustritte wie noch nie“ vom 27. Juni.

Circa 270 000 evangelische und 272 000 katholische Menschen sind 2019 aus ihrer Kirche ausgetreten. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die hohe Zahl der Missbrauchsverbrechen spielen für die Katholische Kirche wohl eine bedeutende Rolle. Die hauptsächliche Ursache sehe ich in der persönlichen Entfremdung von der Kirche, vom Glauben, von der Glaubenspraxis. Man will mehr vom Leben haben, als die christliche Glaubenspraxis zu geben scheint.

Einer persönlichen Lebenserfüllung scheint sie im Wege zu stehen – und zudem kostet die Zugehörigkeit zur Kirche auch noch Geld, die Kirchensteuer. Wozu braucht man denn den lieben Gott? Ungläubigen geht es doch genauso gut oder schlecht wie Gläubigen. Und dabei lebt es sich ganz gut ohne den lieben Gott. Und was sagt ein Theologe dieser gebeutelten Kirche dazu?

Der liebe Gott will, dass es den Menschen, auch denen, die mit ihm überhaupt nichts zu tun haben wollen, gut geht und sie Freude am Leben haben! Aber warum? Weil er Wert darauf legt, dass sich seine Geschöpfe für ihn in Freiheit und in Liebe entscheiden ohne irgendwelchen Zwang.

Die Gebote sind keine Zwangsjacken, sondern Orientierungen für ein vernünftiges, gutes und sinnvolles Leben. Warum ist Gott so verrückt auf die Freiheit des Menschen? Weil er die freie Zuneigung und Liebe seines Geschöpfs ungemein schätzt. Eine erzwungene Liebe wäre entwürdigend.

Wenn man Gottes ausgestreckte Hand ergreift, wird man seine Nähe erleben und spüren, wie er unser Leben gut einrichtet. Gottes Möglichkeiten sind aber nicht mit diesem Leben zu Ende. Jesus hat uns mit der Predigt vom Reich Gottes einen völlig anderen Kosmos in Aussicht gestellt, in dem Gott erfahrbar mit uns auf Du und Du lebt und alle Tränen abwischen wird. (Apk 21,3-4) Es ist jedoch nicht folgenlos, das Angebot Gottes zum Leben mit ihm auszuschlagen. Der liebe Gott hat auch Charakter und seine Antwort kann einmal, wenn wir vor ihm erscheinen werden, auch sein: Ich kenne dich nicht. (Lk 13,27). Die Hölle ist kein Ort mit Feuer – Geistwesen kann man nicht verbrennen –, das Feuer ist vielmehr ein Bild für die nicht zu stillende Sehnsucht nach der Liebe und Geborgenheit bei Gott, die einem auf Erden nichts wert waren.

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