Leserbriefe

Die Existenz der Familie vernichtet

Klaus-Dieter Tempel, Nürtingen. Bei den „Weihnachtsgrüßen aus aller Welt“ am 24. Dezember habe ich die Grüße von Familie Bajrami aus Mazedonien vermisst. Ich nehme an, dass ihnen auch nicht zum Schreiben zumute war, denn Weihnachtsgrüße sollten fröhliche Grüße sein. Jetzt ist es fast ein Jahr her, dass diese Familie, die 25 Jahre in Wolfschlugen wohnte und zur Gemeinde gehörte wie alle Wolfschlugener auch, in einer Januarnacht auf höheren Befehl von der Polizei abgeführt und nach Mazedonien ausgewiesen wurde. Sie wurde in den hintersten Balkan verbannt wie einst den russischen Behörden unliebsam gewordene Menschen nach Sibirien. Meist waren es vorgeschobene Gründe.

Bei Familie Bajrami hieß der Grund, sie seien ausreisepflichtig gewesen, weil sie als Asylbewerber nicht anerkannt wurden. Es war ihr Recht, dagegen Widerspruch einzulegen, weil sie in ihrer Heimat keine Perspektiven für ihre Zukunft hatten. Schließlich ging es um die Zukunft der vier Kinder. So kamen 25 Jahre Aufenthalt zusammen, in denen die Familie hier ihre Heimat fand und längst eine deutsche Identität angenommen hatte. Die Ausreisepflicht nun mit Gewalt durchzusetzen gegen Menschen, die sich vorbildlich integriert hatten, ist für mich ein Zeichen von äußerster Grausamkeit wehrlosen Menschen gegenüber. Drei erwachsene Familienmitglieder hatten einen Arbeitsplatz, zahlten Steuern und Sozialabgaben. Zwei minderjährige Töchter besuchten die Geschwister-Scholl-Realschule. Kurz vor dem Abschluss wurde die ältere von ihnen vertrieben.

Die Existenz der Familie wurde vernichtet. Sie wurden in Armut und Elend hinein deportiert. Sie sind einer beispiellosen seelischen Folter ausgesetzt ohne Arbeit, ohne Einkommen, ohne Heimat. Ich habe in dieser Sache die Herren Kretschmann, Strobl und Eininger angeschrieben. Die zur Antwort beauftragten Referenten stellten nur fest: Deutschland ist ein Rechtsstaat, alles in Ordnung. Die Gesetze eines Rechtsstaates jedoch müssen den Maßstäben des Menschenrechts entsprechen.

Zu „lebenslänglich“ verurteilte Mörder haben nach 15 Jahren die Chance bei guter Führung frei zu kommen. Besser als Familie Bajrami konnten sich Asylbewerber nicht führen. Ausreisepflicht verjährt offenbar auch nach 25 Jahren nicht. Ich wünsche mir, von Menschen regiert und verwaltet zu werden, die diese Aufgabe mit menschlichen Gefühlen erfüllen und nicht statt Menschlichkeit nur Paragrafen im Kopf haben. Wir haben doch in Deutschland lange genug erlebt, dass man mit Gesetzen und Paragrafen auch töten kann. Nach 25 Jahren hätte jeder der genannten Herren die Kompetenz besessen, dieser Familie endgültiges Bleiberecht zu gewähren. Aber dazu müssten sie als Menschen fühlen und handeln können. So wurden fünf Menschen, auch die mitleidende hier gebliebene erwachsene Tochter, in ihrer seelischen Existenz vernichtet und traumatisiert. In einem „Rechtsstaat“ darf das nicht passieren.

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