Leserbriefe

Der Havarist schert aus

Emil Neuscheler, Neckartailfingen. Zum Artikel „Die Angst vor dem griechischen Virus“ vom 4. November. Der Havarist schert aus und folgt, wenn der Schaden behoben ist, als Nachzügler dem Konvoi. Der hat aus Sicherheits- und ökonomischen Gründen seine Fahrt unbeirrt fortgesetzt. Das ist die Normalität. Doch im Fall Hellas liegt alles gestoppt und wartet auf Aktionen in Athen. Aber auf welche eigentlich noch? Solange man den Leuten am Peloponnes täglich versichert, dass sie schon von der Tradition her zu Europa gehören und im Euro verbleiben sollen, fehlt jeder Wille für ein Modell, das das Land wieder auf die Beine stellen kann. Von einer Übergangsregierung, wie sie jetzt etabliert wird, kann man kaum positive Maßnahmen erwarten, zumal diese mit unpopulären Einschnitten in das gewohnte komfortable Leben verbunden sind.

Besonders ärgerlich ist, dass man die deutsche Hilfe noch mit Reparationszahlungen aus dem Krieg in Verbindung bringt. Griechenland hat ein negatives Wachstum im Staatshaushalt, das auch ohne Schuldentilgung defizitär ist. Deshalb sollte Athen den Euroraum verlassen und zur Drachme zurückkehren, bis es seine Finanzen in Ordnung gebracht hat. Oder es akzeptiert in diesem konfusen Zustand einen Kommissar aus Brüssel, der die Verwendung der Stützgelder überwacht. Das ganze Dilemma ist ein offensichtlicher Bruch des Schengener Abkommens, worin festgelegt ist, dass kein anderes Land für die Schulden anderer aufkommen soll. Unsere Kanzlerin wurde nach Cannes und Brüssel gefeiert. Wir gönnen ihr diesen Triumph. Doch es sind so viele Fragen offen geblieben.

Athen braucht weitere 150 Milliarden. Von wem? Europa ist selbst hoch verschuldet. Wir verpfänden unsere ganze Zukunft. Außerdem sollen die Banken auf 100 Milliarden freiwillig verzichten. Eine Zusage steht noch aus. Und wenn, dann holen sie sich die Ausfälle mit höheren Zinsen. Sollte es in Italien auch noch zum Eklat kommen, dann brauchen wir das Europa der zwei Geschwindigkeiten mit dem Süd- und Nordeuro. Das spiegelt die Realitäten und die Verschiedenheit der Mentalität am besten wider. Man sollte aus dem Euro kein Glaubensbekenntnis machen. Hätte man das deutsche Volk darüber abstimmen lassen, wäre die D-Mark noch heute Zahlungsmittel in Deutschland. Das ist kein Affront gegen Europa selbst, es richtet sich nur an die Disziplinlosigkeit mancher Politik. Wenn jetzt gerade wieder für die Kriegsgräber gesammelt wird, kann man erkennen, wie wertvoll die Staatengemeinschaft gerade für uns Deutsche geworden ist.

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