Leserbriefe

Beide Seiten des Korans

Peter Reinhardt, Neckartenzlingen. Zu den Leserbriefen „Islam und Toleranz“ vom 23. Juni und „Integration und Nächstenliebe“ vom 22. Juni. Wenn mir vorgehalten wird, dass ich nur Positives über den Islam geschrieben habe, heißt das nicht, dass ich die Negativseiten nicht kenne. Natürlich gibt es die – übelst! Auch in der Bibel stehen unangenehme Sachen, auf die sich die Scharfmacher im muslimischen Bereich genauso stürzen wie auf die nicht zahlreichen „üblen Koransprüche“, die hierzulande gerne zitiert werden. Dabei ist es doch unsinnig, einzelne Stellen herauszunehmen und für das Ganze zu halten. Meine Koran-Ausgabe hat 440 Seiten, die Bibel noch mehr; beide „heilige Bücher“ sind nicht aus einem Guss, sondern vielgestaltig entstanden, und die Theologen aller Religionen bemühen sich um die „richtige“ Interpretation. In beiden „heiligen Büchern“ stehen eine Vielzahl von sehr schönen und wertvollen Texten, neben ein paar weniger schönen. Deshalb zitiere ich unten drei überaus „schöne“ Texte, die den Radikalinskis beider Seiten nicht ins Bild passen. Koran, Sure 42.13: „Keine Spaltung soll es geben in dem, was Gott dem Noah über Abraham und Moses bis Jesus an Religion verordnet hat“. Oder: Sure 2.257: „Es soll kein Zwang sein im Glauben“. Ein Prophetenspruch: „Ich befehle euch, jedem Bedrängten beizustehen, mag er nun Muslim sein oder nicht“.

Davon weiß der IS offensichtlich nichts. Oder: Sure 5.48: „Und wenn Gott gewollt hätte, hätte er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Aber er (teilte euch in verschiedene Gemeinschaften auf und) wollte euch (so) in dem, was er euch (das heißt jeder Gruppe von euch) (von der Offenbarung) gegeben hat, auf die Probe stellen. Wetteifert nun nach den guten Dingen! Zu Gott werdet ihr (dereinst) allesamt zurückkehren. Und dann wird er euch Kunde geben über das, worüber ihr (im Diesseits) uneins waret“. Letzterer Text könnte als Präambel für die Menschenrechte stehen, sie stehen tatsächlich im Koran! Die Radikalinskis beider Seiten wollen das nicht hören: sie hetzen lieber gegeneinander. Dabei brauchen wir gegenseitiges Verständnis, wenn wir Frieden wollen. Es gibt eine Erklärung für die Widersprüchlichkeiten: solange der Prophet in Mekka war und befeindet wurde, waren seine Sprüche auf Toleranz aus; als er in Medina Staatsoberhaupt und militärisch bedroht war, wurden seine Sprüche hart. Wir sollten beides sehen.

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