Nürtingen

Nürtingen kann mehr Eberswalde wagen

Die Rechtsextremismusforscherin Heike Radvan hielt in der Glashalle des Nürtinger Rathauses einen gut besuchten Vortrag.

Heike Radvan bei ihrem Vortrag in Nürtingen. Foto: Beate Steinhilber

NÜRTINGEN. Beim Vortrag von Heike Radvan vom Institut für Rechtsextremismusforschung der Universität Tübingen mit dem Titel „Stadtgesellschaften in Zeiten extrem rechter Mobilisierungen“ war die Glashalle im Rathaus voll besetzt. Die Referentin bot Antworten auf die Fragen: Wie kann man auf kommunaler Ebene rechtsextremen Dominanzbestrebungen entgegenwirken und welche Interventionen sind hilfreich, um eine demokratische Alltagskultur sicherzustellen?

Auf der Basis ihrer 15-jährigen Beratungstätigkeit in der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin und ihrer Forschung veranschaulichte Radvan die aktuelle Gefahr des Rechtsextremismus. Mit einem Vergleich der Situationen in den beiden Städten Eberswalde und Cottbus berichtete sie über deren jeweiligen Umgang mit rechtsextremer Mobilisierung in den 1980er- und 1990er-Jahren. Sie zeigte am positiven Beispiel Eberswalde, welche Interventionen hilfreich sind, auf kommunaler Ebene dieser Gefahr für die Demokratie erfolgreich entgegenzutreten.

Die Gefahr nicht verharmlosen

Die Grundlage für alle weiteren Interventionen ist, die Gefahr nicht zu ignorieren oder zu verharmlosen. So wurden in Eberswalde diese Dominanzbestrebungen offen thematisiert. „Das ist die Basis, damit Strategien entwickelt werden können, um rechtsextreme Gruppen in ihrer Wirksamkeit zu schwächen und zu marginalisieren“, so Radvan. Was tabuisiert wird, kann nicht gestaltet werden. Das zeigte sich in Cottbus.

Ein zweiter wichtiger Faktor ist die deutliche Positionierung politisch Verantwortlicher für demokratische Werte und gegen extreme Rechte. Dies kam zum Ausdruck im Grußwort von Bürgermeisterin Annette Bürkner, vorgetragen von Nadine Karim, Abteilungsleiterin Bürgertreff, Integration und Sozialer Dienst bei der Stadt Nürtingen: „Wir beobachten ein Erstarken extremer politischer Gruppierungen, insbesondere im rechtsextremen Spektrum. Diese besetzen ganz gezielt die Konfliktlinien in unserer Gesellschaft und schüren Ängste von Menschen, mit dem Ziel, unsere Gesellschaft zu spalten und daraus politischen Profit zu ziehen. Dies erleben auch wir als Kommune hautnah. Hier vor Ort müssen wir alle – Gesellschaft und Politik – Spaltungsprozessen jedweder Art entgegenwirken. Und dies tun wir in Nürtingen seit Jahren und wir dürfen nicht nachlassen.“

Erinnerungskultur lebendig halten

Drittens geht es darum, eine Erinnerungskultur lebendig zu halten. Wie wichtig dieses kontinuierliche Erinnern ist – in Nürtingen realisiert von der „Gedenkinitiative“ –, betonte Radvan auf dem Hintergrund empirischer Untersuchungen: Eine Tradition des Erinnerns und Nicht-Vergessens in einer Kommune schützt gegen die extrem rechte Gefahr.

„Deshalb wurde diese Veranstaltung ganz bewusst auf den 20. November gelegt. Denn an diesem Tag vor 80 Jahren war der Beginn der Nürnberger Prozesse.“ – „Und vor 60 Jahren, im Januar 1965, hat Karl Gerber, Nürtinger Künstler und Kommunist, der in verschiedenen KZs inhaftiert war, als Zeuge im Auschwitz-Prozess ausgesagt“, so Barbara Dürr und Beate Steinhilber, Mitorganisatorinnen der Friedenswochen.

Viertens ist es wichtig, demokratische Akteure, zivilgesellschaftlich Engagierte und deren Strukturen, wie soziokulturelle Vereine auf kommunaler Ebene zu unterstützen. Weitere grundlegende Faktoren sind: Eine gleichberechtigte Teilhabe aller Einwohner im Gemeinwesen und die Förderung politischer Bildungsarbeit. Dazu bedarf es neben demokratischer Öffnungsprozesse von Schulen und Verwaltung eine Professionalisierung nicht nur von Pädagogen in Kita und Schule, sondern auch von Verwaltungsmitarbeitern.

Eingeladen wurde die Referentin vom „Bündnis für Asyl, Menschenwürde und Verantwortung“ und der „Gedenkinitiative für die Opfer und Leidtragenden des Nationalsozialismus in Nürtingen und Umgebung“. Radvan gab einen differenzierten Einblick in die Vorbeugung von Rechtsextremismus auf kommunaler Ebene. Nun sind alle gefragt, dies in Nürtingen aufzunehmen und umzusetzen, um eine solidarische Stadtgesellschaft gestalten zu können.

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