NÜRTINGEN. Zu diesem Thema hatte NFANT (Netzwerk für Flüchtlingsarbeit in Nürtingen) kürzlich zu einem Reisebericht mit anschließender Diskussion in die Glashalle des Rathauses eingeladen. Dr. Kamal Sido, Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mit Sitz in Göttingen, schilderte dabei auch anhand von Bildmaterial seine Eindrücke aus dem ehemaligen Bürgerkriegsland. Die Veranstaltung, zu der etwa 50 Interessierte gekommen waren (darunter Flüchtlinge aus Syrien), moderierte Dr. Martin Häberle.
Im April 2025 besucht Sido, der selbst 1990 aus politischen Gründen aus Syrien geflüchtet ist, die verschiedenen Regionen seiner einstigen Heimat. Nach dem Sturz der Assad-Diktatur will er sich unmittelbar vor Ort ein Bild machen. Sido muss seine Reise im Geheimen durchführen, da auch unter dem Regime des neuen Machthabers Al-Scharaa die Sicherheitslage insgesamt instabil bleibt und Entführungen an der Tagesordnung sind. Unter diesen Bedingungen kann Sido zum Beispiel im türkisch besetzten Afrin seinen Bruder nur für zehn Minuten treffen!
In den verschiedenen Landesteilen sucht Sido den Kontakt zu Kurden, Drusen, Alawiten, Assyrern/Aramäern, Christen und Yeziden. Er begegnet unter anderem Menschen, die zehn oder 20 Jahre eingekerkert waren, sich aber selbst unter Folter nicht brechen ließen. Gleichzeitig sieht er erschreckende Spuren der Zerstörung (darunter allein Hunderte von kurdischen Friedhöfen).
In einem Ort (Quamishli) betritt der Muslim Sido eine verlassene Synagoge und vollzieht in respektvoller Erinnerung an eine untergegangene Kultur ein jüdisches Ritual. In Damaskus registriert er ungewöhnliche Veränderungen aus der jüngsten Vergangenheit. So ist das Jahrhundert alte Grabmal des Kalifen Saladin von der türkischen Regierung umgestaltet und zu propagandistischen Zwecken vereinnahmt worden; und vor der Omaijaden-Moschee sieht man eine Flagge von Al-Quaida aufgepflanzt. Allein solche Beobachtungen werfen die grundsätzliche Frage auf, ob eine Regierung mit einem ehemaligen Terroristenführer an der Spitze überhaupt zu einem Wandel der Politik willens und fähig ist.
Die Gesprächspartner der verschiedenen Minderheiten mahnen deutlich zur Vorsicht. Das brutale Vorgehen gegen die Alawiten wenige Tage zuvor ist eine unübersehbare Warnung, leichtgläubig den neuen Machthabern zu vertrauen. Die einzelnen Volksgruppen wollten sich keinesfalls einem zentralistisch ausgerichteten System anpassen, das vom politischen Islam geprägt ist und folglich keine Trennung von Staat und Religion kennt. Auf solche Stimmen sollte schließlich auch die deutsche Politik hören.