Leserbriefe

"Wir haben es gewusst"

Dr. Jan Fitzner, Wendlingen. Zum Artikel Köhler unterzeichnet Gesundheitsreform vom 27. März. Es ist gar nicht so schwer, sich darüber zu informieren, welche unerwünschten Nebenwirkungen die neue Gesundheitsgesetzgebung für Patienten und Ärzte haben wird. Umso erstaunlicher ist es, dass sich so wenig Protest regt, bei Ärzten ein bisschen, bei Patienten nichts. Dabei werden wir uns alle einmal den wohlbekannten Fragen stellen müssen: Habt ihr davon gewusst? Und was habt ihr dagegen getan?

Und wir haben es gewusst: Wir haben gewusst, dass das Einführen der Polikliniken den Verlust der hausärztlichen Versorgung am Wohnort bedeutet, lange Anfahrtswege, jeweils neue Ärzte und Abfertigung nach Berlin-gesteuertem Einheitsschema. Wir haben gewusst, dass sich Patienten durch Rabatte ihr Recht auf freie Arztwahl abkaufen lassen werden, die freie Arztwahl, das letzte bisschen Selbstbestimmung in der künftigen Normmedizin, festgelegt von medizinunkundigen Bürokraten.

Wir haben gewusst, dass Qualität ein Wort in aller Munde ist, allerdings jetzt mit einer neuen Definition: qualitativ hochwertig ist, wer den Wettbewerb um die Kassenzulassung durchgestanden hat und dafür ist nicht mehr medizinisches Wissen, sondern Politikhörigkeit entscheidend. Rationierung, Einsparung, Erhöhung der Patienteneigenbeteiligung und gleichzeitige Vertuschung des Ganzen, das sind die Tugenden des künftigen guten Kassenarztes.

Auch haben wir gewusst, dass die elektronische Patientenkarte den Notfallpatienten nicht schützt, weil dieser im rechten Moment seine PIN nicht nennen kann, dass sie aber jenen Schutz, den die ärztliche Schweigepflicht bisher bot, abschafft, weil die Krankenakte ins Internet verlagert wird. Geheim und gesichert, ja freilich, aber schon jetzt öffentlich und dokumentiert geknackt und gehackt.

Uns ist bekannt, dass der Elektronikindustrie dadurch Milliarden zukommen, wir wissen aber auch, dass dieses Geld für dringend nötige Therapien fehlen wird. EDV-gestützte Therapieoptimierung und der Ausbau der Früherkennung sind hoch lobenswerte Grundideen, doch erst dann, wenn genug Geld für die banale Basisversorgung vorhanden ist.

Schwarzmalerei? Es ist bereits so weit, dass wir Ärzte für medizinisch richtige Therapien finanziell abgestraft werden, sobald sie ein staatlich festgelegtes Preislimit überschreiten, es ist Tatsache, dass Millionen individueller Patienten mit bürokratisch normierten Einheitssubstanzen pflichtbehandelt werden müssen, und gerade in diesen Tagen werden die Verträge für den Einkauf der Medikamente bei Monopolherstellern verteilt. Die Bürokratie überrollt die Medizin, der Maßstab für Patientenbehandlung heißt nicht mehr Ethik, sondern Euro. Obwohl die Regierung bemäntelt, wo sie kann, ist dies alles nicht verborgen geblieben. Wir haben es gewusst!

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