Leserbriefe

Fern der Praxis, fern der Realität

Maike Pfuderer, Stuttgart. Zu den Leserbriefen „Beamte schaffen Bürokratie“ vom 11. Dezember und „Verpuffte Feiertage“ vom 10. Dezember.

Die beiden Leserbriefe, verfasst von Männern, die einst für sich in Anspruch nahmen, progressiv zu sein, lassen mich verwundert zurück. Beginnen wir mit dem Gewerkschafter Hartmann, der einst vorgab, als Sozialdemokrat die Tarifautonomie mindestens miterfunden zu haben. Genau diese Tarifautonomie stellt er nun infrage, indem er die Kolleginnen von ver.di als Sachwalter des Berufsbeamtentums schmäht. Dabei geht es in den aktuellen Tarifverhandlungen nur in zweiter Linie um Beamtinnen und Beamte beim Bund und in den Ländern. Im Mittelpunkt stehen die Tarifbeschäftigten. Beispiele dafür kennt jeder zur Genüge.

Dass ein ehemals Linker, längst fernab vom Arbeitsleben, das Hohelied des Feiertagsverzichts singt, zeigt, wie abseitig man fern der Praxis werden kann. Es sind die drei christlichen Hochfeste Weihnachten, Ostern und Pfingsten, die jeweils mit zwei Feiertagen begangen werden. Der zweite Feiertag dient schon lange nicht mehr ausschließlich dem Kirchgang, wie es in grauer Vorzeit vielleicht der Fall war. Er ermöglicht Austausch bei Familienfesten oder – wie an Pfingsten – den Beginn von Volksfesten, etwa den Pfingstmontagmärkten mit ihrer langen Tradition. Vielleicht, so denke ich mir, sollten die beiden Herren ihren Blick wieder weiten. Die Welt ist vielfältiger und inklusiver, als sie glauben. Öffentlicher Dienst ist eben nicht nur Bürokratie, und Bürokratie ist nicht per se schlecht. Sie sorgt dafür, dass öffentliches Leben und Gesellschaft funktionieren. Auch die Kirchen sind deutlich offener geworden und tragen dem Rechnung. Sie beschreiten neue Wege und feiern beispielsweise in Stuttgart seit vielen Jahren am Pfingstmontag das Fest der weltweiten Kirche. Als progressiver Mensch, der sich langsam den 60 nähert, hoffe ich, mir diesen weiten Blick zu bewahren, lässt er sich wiederfinden?

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