Leserbriefe

Ein Freibrief für die Bahn?

Rolf Priesmann, Nürtingen. Zum Artikel „Ich setze auf Kretschmann“ vom 23. November. Wer würde einen toll aussehenden Gebrauchtwagen kaufen, der zum absoluten Schnäppchenpreis angeboten wird? Und wenn sich nach der Unterzeichnung des Kaufvertrags herausstellen würde, dass der Preis doppelt so hoch ist wie ursprünglich angegeben und das Auto noch dazu eine Vielzahl von Macken hat, was würde man über den Verkäufer denken? Betrügerische Absicht, irrtümlich unvollständige Information, ein Versehen? Wer würde den Wagen trotzdem abnehmen und zahlen? Wohl kaum jemand. Diese Gedanken gingen mir durch den Kopf, als ich das Interview mit Herrn Grube gelesen hatte: Einen Gebrauchtwagen würde ich nicht von ihm kaufen und schon gar nicht den von ihm angepriesenen Tiefbahnhof S 21. Eine seiner wenigen Wahrheiten hat er deshalb geschickt versteckt. Nämlich dass – sollten die Baukosten die vereinbarte Kostenobergrenze von 4,5 Milliarden Euro durchstoßen, aus Gründen, die zu Beginn des Bauens nicht bekannt waren – alle Vertrags-partner verpflichtet wären, das Projekt zu Ende zu bauen. Wenn die Landesregierung in einem solchen Fall ihren finanziellen Anteil verweigert, würde sie sich schaden-ersatzpflichtig machen.

Keiner kann sich in die Ecke setzen und sagen: Ich nicht. Früher nannte man so etwas einen „Freibrief“. Heute heißt das, dass wir alle bei S 21 massiv zuzahlen werden – und Grube und die Bahn, ebenso wie die Politiker und Immobilienspekulanten, die das alles angezettelt haben und immer noch mit Riesenwerbegeldern bei den Bürgern durchdrücken wollen, fein raus sind. Würde Otto Normalverbraucher oder ein normaler Mittelständler so tricksen, täuschen und Fakten unter den Tisch fallen lassen, wie es die Bahn und die S21-Befürworter bisher getan haben, er hätte sich schon längst vor Gericht zu verantworten. Deshalb: Ja zur Ehrlichkeit. Es ist höchste Zeit.

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