Leserbriefe

Die Scheinheiligkeit kniefälliger Freunde

Helmut Weber, Aichtal-Neuenhaus. Zum Artikel „Bundesregierung lehnt Snowdens Asyl-Gesuch ab“ vom 3. Juli. Ein Volk, in dem sich die meisten Bürger freiwillig bewaffnen, das drüber hinaus die aufwändigste und schlagkräftigste Armee besitzen muss, signalisiert das Vorhandensein existenzieller Bedrohungen oder Allmachtsansprüche – vielleicht beides. Wird hinter diesem amerikanischen Waffenwall eine fundamentale Unsicherheit sichtbar? Vielleicht ist sie das gefährlichste Signal aus Amerika.

Nach dem 11. September 2001 explodierte das Feindbild Amerikas, nicht zuletzt mithilfe von Presse und Regierung. Der mögliche Feind war nun allgegenwärtig, selbst hinter den Äußerungen, den Mails oder der Post eines jeden Amerikaners. Für eine nie zu erreichende Sicherheit wurden nun wichtigste Rechte der Bürger von Hunderten Staaten gebrochen. Den Freund auf einem anderen Kontinent zum hypothetischen Feind werden zu lassen – sicherheitshalber, war nur konsequent.

Wo noch nicht ausspioniert und agiert wurde, setzte man an und perfektionierte, detaillierte erforderliche Nachrichtentechnik, bis hin zur letzten geräuschsensiblen Toilettenbrille im deutschen Bundeskanzleramt oder einem Intelligenz-Wurm, der das Atomkraftwerk eines unbequemen Staates zu sabotieren imstande war. Dass das amerikanische Schutzbedürfnis angesichts einer mehr rechtsfrei und selbstgerecht agierenden Maschinerie von CIA und NSA zu einem bedenklichen Selbstläufer ohne jedes Maß wurde, war nur eine Frage der Zeit.

Eigentlich müsste eine Welt, damit auch jeder amerikanische Bürger, für den Snowden-Blick hinter die Kulissen „freiheitsliebender“ Staaten und seiner Warnung vor dem „Big Brother is watching you“ zutiefst dankbar sein. Die Scheinheiligkeit thematisch verstrickter und betroffener sowie kniefälliger Regierungen, die den Warner Snowden ihren eigenen Egoismen opfern – den Asylantrag in Paragrafen ersticken lassen, besitzt den Humanismus eines Erschießungskommandos. So politisch Getriebene würden auch bedenkenlos einen Stauffenberg erneut den Henkern preisgeben oder einen Nazarener.

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