Leserbriefe

Die Nürtinger in der Mitmach-Falle?

Christoph Röcker, Nürtingen. Zum Artikel „Ein Stelldichein mit der Stadtverwaltung“ und zum Kommentar „Wo sind die Bürgerrinnen und Bürger“ vom 23. März.

Im Artikel zur Veranstaltung der Stadtverwaltung am 21. März steht bereits ein Satz dazu: Ich finde das neue Format der „Einwohnerversammlung“ nicht gut. Mit Blick auf die Gemeindeordnung (GemO) erscheint dieser Ausdruck für das Treiben in der Kreuzkirche eher als Etikettenschwindel.

Die in Paragrafen 20 GemO vorgeschriebene Unterrichtung der Einwohner über allgemein bedeutsame Angelegenheiten der Gemeinde ist Voraussetzung für bürgerschaftliche Mitwirkung. Ohne frühzeitige Kenntnis der Grundlagen, Ziele, Zwecke und Auswirkungen wichtiger Planungen und Vorhaben ist eine Mitwirkung der Einwohner nicht denkbar. Das durch Paragrafen 20a GemO vorgesehene Instrument der Einwohnerversammlung hat eine andere Funktion: Wichtige Gemeindeangelegenheiten sollen mit den Einwohnern erörtert werden. Zu diesem Zweck soll der Gemeinderat in der Regel einmal im Jahr, im Übrigen nach Bedarf eine Einwohnerversammlung anberaumen. Die Vorschläge und Anregungen der Einwohnerversammlung sollen innerhalb einer Frist von drei Monaten von dem für die Angelegenheit zuständigen Organ der Gemeinde behandelt werden.

Unter „Erörterung“ wird gemeinhin das Herausarbeiten der Kerntatsachen eines Sachverhalts verstanden, das darauf gerichtet ist, eine Urteilsbildung zu ermöglichen. Bei Angelegenheiten der Gemeinde kann es nur darum gehen, wie diese das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Wohl ihrer Einwohner berühren. Die Frage ist, wie meine und andere von Einwohnern eingebrachte Anregungen nun ihren Weg zu einer Behandlung durch die Organe der Gemeinde finden. Dies sind nach § 23 GemO der Gemeinderat und der Bürgermeister. Ansonsten bliebe es für die Einwohner bei dem, was in den Sozialwissenschaften als „Mitmach-Falle“ bezeichnet wird.

Ich sehe das so: Wenn die Veranstaltung am 21. März eine Einwohnerversammlung war, müsste auch dieses Thema vom Gemeinderat spätestens in der Sitzung am 18. Juni behandelt werden. Wenn es keine war, sollte der Gemeinderat eine Einwohnerversammlung anberaumen, um erörtern zu lassen, warum sich die Stadt Nürtingen bei ihren Konzepten für Einwohnerversammlungen künftig mehr an den Vorgaben der Gemeindeordnung orientieren sollte. So oder so können die Kandidatinnen und Kandidaten für den nächsten Gemeinderat im Wahlkampf schon mal erklären, wie sie es mit der Mitwirkung der Einwohner halten wollen. Vielleicht klappt es dann irgendwann mit der „Förderung des allgemeinen Interesses an der Verwaltung der Gemeinde“ dessen Fehlen Redaktionsleiter Kai Müller in seinem Kommentar so nachdenklich stimmt. Auch dazu steht etwas in den oben genannten Paragrafen.

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