Leserbriefe

„Als Gast sich wie ein Gast verhalten“

Hosam el Miniawy, Nürtingen. Zum Artikel „Sarrazin droht Entmachtung“ vom 12. Oktober. Auch wenn ich die Verallgemeinerungen und polemischen Äußerungen in den Antworten von Herrn Sarrazin verurteile, denke ich, dass diese Diskussion geführt werden muss. In meinem Leben war ich zu Schul-, Studien und Arbeitsaufenthalten in Ägypten, Algerien, der Schweiz und Südkorea. Hier musste ich meine Identität nie aufgeben, aber im Alltagsleben die Kultur meiner Gastgeber akzeptieren.

Weiter habe ich versucht, meinen guten Willen dadurch auszudrücken, dass ich die Sprache gelernt habe, Umgangsformen und Kleidung den lokalen Bedingungen angepasst habe und bei lokalen Riten teilgenommen habe. Was heißt das für die aktuelle Diskussion? Wenn ich Gast in einem Land bin, dann muss ich mich wie ein Gast verhalten und lokale Begebenheiten weitestgehend anerkennen. Dies bedeutet nicht, dass ich nicht in geordnetem Maß zum Beispiel über Diskussionen Meinungen austauschen kann. Ich kann aber kaum erwarten, dass zum Beispiel allein durch meine Anwesenheit die Säkularisierung (Trennung von Staat und Religion) im Iran Einzug hält.

Entscheide ich mich nun für ein Leben im Ausland, so gilt dies noch mehr. Alles andere wäre in den von mir bewohnten Ländern undenkbar gewesen. Assimilierung ist kein Verbrechen, wie der türkische Ministerpräsident Erdogan sagt. Dieser Ausspruch ist vielmehr der Versuch, die nötige Integration im Alltag zu verhindern und das schlechte Gewissen der Deutschen zu nutzen, um bei seinen eigenen Mitbürgern zu punkten.

Assimilierung ist die Notwendigkeit für jeden Einzelnen, bis zu einem gewissen Grad die Sprache, Riten und Gebräuche zu lernen, da sonst die Erreichung gleicher Lebenschancen gar nicht möglich ist. So würde ich kaum bei einem Geschäftsessen in Frankfurt punkten, wenn ich wohlig und laut rülpse. Auch ist es nicht richtig, aus falsch verstandener Liberalität zu tolerieren, was andere Länder nie tun würden. Vielmehr haben wir in Deutschland einen Rechtsstaat geschaffen mit der Emanzipation von Frauen und anderen Freiheiten, die wir auch bereit sein müssen zu verteidigen. Es ist zum Beispiel kein Ausdruck von Freiheit, wenn ich den Schleier erlaube, vielmehr gebe ich hier Menschen die Möglichkeit, dies als Unterdrückungsmittel zu nutzen.

Der Islam ist eine tolle Religion und gar nicht so unähnlich dem Christentum, aber das heißt nicht, dass das Selbstverständnis, das ein Mensch in einem anatolischen Dorf erlangt hat, hier zum Leitbild des Umgangs in seinem Viertel propagiert werden kann. Ausübung der Religion und Kultur ist eine Sache, aber bitte immer in den Grenzen des deutschen Rechtsstaats. Vielleicht darf man so etwas in Deutschland nur so deutlich schreiben, wenn man selber einen multikulturellen Hintergrund hat. Oder auch dann nicht?

Zur Startseite