Leserbriefe

90 Jahre und keine Ruhe

Reiner Essl, NT-Reudern. Zum Artikel „Was ist menschlich anständig?“ vom 24. Juni. Was muss in einem Menschen vorgehen, der 90 Jahre alt geworden ist und sich nun einer Kampagne ausgesetzt sieht, die sein Leben mit seinen Idealen in den Schmutz spült? Dr. Walter Staffa hat sich in seinen jungen Jahren als Arzt neben seiner gewissenhaften Tätigkeit auch dem Denken an seine verlorene Heimat im Sudetenland verschrieben. Er war maßgeblich beteiligt, als die „Deutsche Jugend des Ostens“ gegründet wurde. Diese Arbeit, die nichts anderes im Sinn hatte als die Jugend nach der Vertreibung aus der Heimat den Heimatgedanken nicht vergessen zu lassen. Bei all den Vorträgen von Dr. Staffa ist nie das Wort „Revanchismus“ gefallen, indem die Heimatvertriebenen mit Gewalt versuchen sollten, die Heimat mit dem Status „deutsch über alles“ wieder zurückzubekommen. Eines konnten die traumatisierten Menschen aus dem Sudetenland kurz nach dem Krieg nicht vergessen, und das hat bestimmt auch Dr. Staffa geprägt: Es ist die Brutalität der Vertreibung, die durch das „Benesch-Dekret“ die Sudetendeutschen innerhalb von Stunden praktisch zum Freiwild machte und diese somit der Willkür der Tschechen ausgesetzt waren. Die darauf folgenden Todesmärsche 1945 von Brünn, Aussig, Znaim et cetera zur Staatsgrenze brachten zigtausend Deutschen den Tod.

Das große Leid war das Ergebnis des Münchner Abkommens von 1938 und der folgenden brutalen Repressalien der deutschen Wehrmacht gegenüber den Tschechen. Die Not und das Elend gegeneinander aufzurechnen war nie ein Thema von Dr. Staffa in seinen Reden und seiner Arbeit. Vielmehr wurden Heimatgruppen vom Böhmerwald bis ins Memelland etabliert, um das Brauchtum und den Verlust der Heimat nicht vergessen zu lassen. Dieses „Unvergessen“ war das größte Anliegen von Dr. Staffa. Aber sich für das Deutschtum der verlorenen Heimat einzusetzen kann leicht dazu führen, in die extrem rechte Ecke gestellt zu werden.

Es war ein überaus großes Engagement, neben dem Beruf als Arzt, den vertriebenen Deutschen das Recht zur Heimat offenzuhalten, obwohl Dr. Staffa bestimmt wusste, dass sie unwiederbringlich war. Dieses Recht gipfelte in eine Heimatillusion, aber durch seine Arbeit nicht in ein Heimatvergessen. Das sollten solche Menschen anerkennen und respektieren, die diesen alten Mann mit schöngeistigen Worthülsen, aber auch Unverständnis in die Phalanx von rechtsradikalen Unverbesserlichen stellen.

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