Leserbriefe

Planung geht an Bedürfnissen vorbei

Christoph Röcker, Nürtingen. Zum Artikel „Mehr Grün und weniger Parkplätze“ vom 5. Mai.

Wie es nun in der Östlichen Kirchstraße weitergehen soll ist nicht zukunftsträchtig, sondern folgenschwer. Es ist bekannt, dass damit die letzte Möglichkeit verbaut wird, einen wirklich barrierefreien Zugang zur Innenstadt zu schaffen. Es gibt nun mal Menschen mit Behinderung, für die große und längere Steigungen eine unüberwindbare Barriere darstellen.

Auf dem Weg von einer Gestaltungsaufgabe zu deren Lösung sind unzählige Entscheidungen zu treffen. Wer anderen eine solche Aufgabe übertragen will, muss diese klar definieren. Erstens, um überhaupt die richtigen Gestaltungsspielräume zu eröffnen. Zweitens, um zu überlegen, wer dies qualitativ leisten und übernehmen könnte. Um bei Planungsaufgaben „richtig“ entscheiden zu können, müssen Planer alle projektrelevanten Belange aller Teile der Stadtgesellschaft kennen. Ebenso deren rechtlich gesetzten und politisch gewollten Prioritäten. Es gibt wohl keine Planer, die nicht froh wären, wenn mal vorab klar wäre, woran man später festmachen will, ob das Ergebnis ihrer Arbeit „gut“ oder „schlecht“ sei. Dann könnten sie auch mal zeigen, was mit ihrer Kreativität und ihrem Fachwissen heute schon möglich wäre.

Aber in Nürtingen läuft das anders. Dabei war gerade zu sehen, wie institutionelle Diskriminierung entsteht. Weil die Belange von Menschen mit Behinderung und allen anderen Teilen der Stadtgesellschaft nicht strukturiert erhoben und in eine klare Aufgabenstellung für die Planer gegossen wurden. Natürlich werden dann nur Parkplätze, Fahrradständer und Sitzinseln auf flachen Plänen hin und her geschoben und variiert, um dazwischen einen Baum mehr oder weniger hinzustellen. Dafür hat sich der Gemeinderat die Entscheidung vorbehalten, mit welcher Planungsvariante es danach weitergehen soll. Natürlich muss dann im Bauausschuss nachgebessert und weiter hin und her geschoben werden. Fast so, wie wir das mit den ausgestanzten „Möbelchen“ im selbst gemalten Grundriss auf der letzten Seite des IKEA-Katalogs früher auch gemacht haben. Die hatte Karos, und ausgestanzte „Blumentöpfchen“ mit Grünzeug gab es auch, um unschöne Ecken zu verstecken.

So etwa läuft es in Nürtingen. Anscheinend fällt niemand auf, dass dabei alle zukunftsrelevanten Fragen strukturell immer von denjenigen entschieden werden, die am wenigsten Zeit hatten, sich damit zu befassen, und darüber hinaus über das wenigste Fachwissen verfügen. Vermutlich muss ein Teil der Rollstuhlfahrer damit leben, dass er weiterhin nicht ohne Assistenz in die Innenstadt kommen wird. Weil es nun mit einer Planungsvariante weitergeht, die viel von dem verbaut, was möglich und wirklich wichtig gewesen wäre.

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