Was „Ein ganzer Kerl“ mit Donald Trump zu tun hat

Netz G’schwätz: Immobilienmogul gegen den Rest der Welt: Für unseren Redakteur bietet die neue Netflix-Miniserie ganz gute Unterhaltung. Trotz oder gerade der aktuellen Übertragung des Romanstoffs von Tom Wolfe.

In Atlanta kämpft Charlie Croker (Jeff Daniels) gegen seinen Ruin. Foto: Mark Hill/Netflix

Einstmals duellierten sich amerikanische Helden und Schurken telegen mit dem Colt. Charlie Croker (Jefff Daniels) und Harry Zale (Bill Camp) bevorzugen neben testosterongeschwängerten Verbal-Schlachten lieber den Händedruck. Ausdauernd, mit schneeweißen Knöcheln quetschend, versucht Immobilienmogul Croker in der neuen Netflix-Serie „Ein ganzer Kerl“ als eben ein solcher aufzutreten und seinen Gegenüber mit Machokraft einzuschüchtern. Der nämlich arbeitet für eine Bank, und er will Croker den Stecker ziehen: Croker ist nämlich nicht (mehr) steinreich, sondern angesichts von bald einer Milliarde Dollar Schulden pleite – just kurz nach seinem 60. Geburtstag, zu dem er noch tatsächlich Shania Twain (tritt erfreulicherweise als sie selbst auf) für sich aufspielen ließ.

Abgefahrener Händedruck? Immobilienverchecker? Pleite statt steinreich? War da nicht etwas? Klar. Solche Attribute werden auch dem realen Donald Trump zugeschrieben. Nun hat der amerikanische Kultschriftsteller Tom Wolfe die Romanvorlage „Für ein ganzer Kerl“ bereits 1998 geschrieben. Doch wie bereits im einst mit Tom Hanks und Bruce Willis verfilmten „Fegefeuer der Eitelkeiten“ geht es ihm auch hier um eine schonungslose Darstellung zeitloser amerikanischer Pseudo-Tugenden wie das Predigen der Macht des Stärkeren und der Story vom Primat des Geldes.

Jeff Daniels verleiht dem Unsympathen menschliche Züge

Kein Wunder also, dass Croker trotz erdrückender und demütigender Schuldenlast als Ex-Footballstar nicht kampflos die Bühne räumen will. Schließlich ist er der „Sixty Minute Man“, der „60 Minuten-Mann“. Die amerikanische Popgeschichte kennt diesen ausdauernden Liebhaber aus dem gleichnamigen Fiftys-Song der „Dominoes“. Sein Imperium hat er sich sehr wohl zusammengeliehen wie der einstige (und vermeintlich zukünftige) reale US-Präsident. Und er kann ebenso nicht akzeptieren, dass jemand weder seine Methoden noch ihn akzeptiert. Dennoch zeichnet Daniels den eigentlichen Unsympathen herrlich menschlich und gegen Ende sogar lernfähig und beinahe geläutert – hier spätestens also endet die Ähnlichkeit zu Trump.

Kämpfen muss Croker in dieser knallharten Satire nicht nur gegen Zale, sondern vor allem gegen Raymond Peepgrass (klasse Jon Pelphrey), der ihn vernichten will. Den Grund gibt der superambivalente Charakter so an: Weil er Croker bewundert. Dass er dann auch noch mit dessen Ex-Frau (Diane Lane mit viel Starpower) anbändelt, verwirrt die Fäden zwischen Haupt- und Nebengeschichte auf höchst amüsante Weise.

Während diese Hauptgeschichte um den wankenden Geld- und Gebäuderiesen oft einfach nur komisch ist, geht eine andere Nebengeschichte tief unter die Haut: Der Mann von Crokers Sekretärin ist schwarz und landet nach einer tätlichen Park-Auseinandersetzung mit einem Cop ausgerechnet im tief südstaatlichen Atlanta im Knast. Crokers Staranwalt White (Aml Ameen) soll ihn rausboxen – und lässt sich dabei auf den Kampf seines Lebens ein. Mit Opfer-Täter Conrad (John Michael Hill) lässt sich‘s trefflich leiden.

Auch in dieser Miniserie wird entschlossen mit Dreck geworfen

Nicht nur diese Geschichte um Rassismus und Polizeigewalt hat Showrunner David Edward Kelley der Croker-Saga erfrischend aktuell hinzugefügt. Mit der Figur Joyce Newman (von Lucy Liu ebenfalls mit satter Starpower gespielt) gibt es noch eine Prise „Me too“. Und mit dem Wahlkampf um den Bürgermeister-Posten von Atlanta rund um Amtsinhaber Jordan (William Jackson Harper) wird einmal mehr eindrücklich dargestellt, dass der in der US-Politik oft die Nase vorn und oben hat, wer am entschlossensten mit Dreck wirft.

Am Ende gibt es einen Showdown, der gleich für mehrere der erzählten Geschichten zündende Pointen bereithält. Solch klar endende Geschichten hält das wahre Leben nicht immer bereit. Sonst könnte sich Trump nicht anschicken, ein zweites Mal die amerikanische Demokratie auf die Probe zu stellen.

Beste Szene(n): Immer, wenn sich Charlie Crokers Hightech-Knieprothese verselbstständigt.

Lieblingsfigur(en): Crokers junge zweite Frau (Sarah Jones), die entgegen aller Klischees nicht nur eine Trophäe für den reichen Jäger ist, und auch Crokers Sohn Wally (Evan Roe), der seinen Cowboy-Vater durchschaut und doch nicht fallenlässt.

Tipp: Einfach mal in die amerikanische Originalfassung reinhören. Denn Jeff Daniels ist tatsächlich in Georgia geboren und muss den hinterweltlerischen Südstaaten-Akzent nicht imitieren – auch wenn man dann vielleicht kaum ein Wort versteht.

Umrahmt von fetziger Musik überzeugt uns nach „Lincoln Lawyer“ eine weitere Schöpfung von David Edward Kelley in sechs temporeichen und nie langweiligen jeweils rund 50-minütigen Episoden auf Netflix seit 2. Mai.

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