Nürtingen
Gänseblümchen
Gänseblümchen

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche . . ., atmet die Natur nach einem langen harten Winter spürbar auf. Oh nein, Verzeihung, das war der für den anderen Fall vorbereitete Beginn. Dieses Jahr müsste es eigentlich heißen: Vom Salze befreit blieben Straßen und Wege, meistens jedenfalls, denn als es dann doch einmal schneite, war (fast) niemand in der Lage, derselben Herr zu werden. Der Verkehr brach zusammen, Stromausfälle erhöhten den Kerzenverbrauch und wer konnte, blieb in seinen vier Wänden sitzen. Verluste, Entschädigung, Mehrarbeit war die stereotype Reaktion der Wirtschaft. Kurz: die Welt schien zusammenbrechen zu wollen. Nur ein so oft ungerechtfertigt übersehenes unscheinbares Wesen schien sich nicht beeindrucken zu lassen von dem kurzen Wintereinbruch: Bellis Perennis, das Gänseblümchen. Endlich konnte dieses Allround-Pflänzchen einmal aus seinem Mauerblümchen-Dasein heraustreten. Denn selbst sonst nicht eben als erfahrene Botaniker ausgewiesene Zeitgenossen bemerkten das Ungewöhnliche daran, dass das kleine Schwesterchen der Aster seine Blütenkörbchen schon im Januar keck aus dem Rasen reckte. Da werden Assoziationen wach und nicht nur an Osterspaziergänge: An die Gänseliesel zum Beispiel, wie sie ihre weißgefiederte Herde unter lautem Geschnatter in die Aue treibt, wo schon holde Jungfern sich aus den nach dem Federvieh benannten Blüten Kränze winden. Überall juchzen Kinder beim lustigen Ringelreihen und drinnen waltet züchtig die Hausfrau, womit das Weimarer Zwiegespann auch wieder treulich vereint wäre, einen ebenso treulichen dritten erwartend. Schon hört man seine Fistel krähen: Wagalaweia, Wütger Wotan, Wolltsts nicht wagen, des wilden Winters Wiederkehr zu wünschen. heb