Leserbriefe

Was stimmt denn nun?

Walter Reiser, Nürtingen. Zum Artikel Gott statt Darwin: Fromme Christen fordern mehr Bibelstunden im Biologieunterricht vom 24. Juli. Ich möchte auf zwei Missverständnisse beziehungsweise methodische Grenzüberschreitungen aufmerksam machen. Zum Ersten ist die biblische Lehre von der Schöpfung nicht identisch mit Kreationismus. Die Absicht der Verfasser der beiden Schöpfungsberichte der Bibel war nicht, eine biologische Abhandlung zu schreiben, sondern in der Form eines Mythos darzulegen, dass Gott alles, was ist, aus dem Nichts geschaffen hat. Diese Art der Schöpfung aus dem Nichts übersteigt jegliches Vorstellungs- und Denkvermögen des Menschen. So hat man es auch in 2000 Jahren Theologiegeschichte nie für möglich gehalten, dass irgendeine Wissenschaft das bestätigen könne, was eine wortwörtliche Interpretation des Schöpfungsberichts der Bibel zu erkennen gibt.

Die Sätze der Evolutionswissenschaft sind hypothetische, durch die Erfahrung bewährte Sätze. Der Anspruch, man könnte den hypothetischen Charakter von wissenschaftlichen Erkenntnissen in definitive Wahrheit überführen, würde das Verlassen der Wissenschaft bedeuten. Wenn die Evolutionswissenschaft mit dem Anspruch des alleinigen Besitzes der Wahrheit über die Evolution des Menschengeschlechts und der Natur auftreten würde, würde sie gemäß ihrer eigenen Voraussetzungen aufhören, Wissenschaft zu sein. Sie würde selber eine Art Weltanschauung und, im schlimmsten Fall, sogar sich selber an die Stelle der Religion setzen. Auf diese Selbstgefährdung muss die Evolutionswissenschaft hingewiesen werden.

Wie sieht das in der Schule aus? Im Biologieunterricht hören die Kinder, was die Evolutionsforscher sagen, und im Religionsunterricht hören sie etwas von der Schöpfung. Damit ist alles schön abgegrenzt: Das eine ist Biologie und das andere ist Theologie und beide haben nichts miteinander zu tun. Aber es sind doch dieselben Schüler, die im Biologie- und im Religionsunterricht sitzen. Da hören sie zuerst, dass wir von den Affen abstammen, und anschließend, dass Gott uns unmittelbar nach seinem Bild geschaffen hat. Jeder nachdenkende Mensch, der nicht schizophren ist, wird sich doch fragen, was denn nun stimmt, was die Wahrheit ist. Kann eine Schule oder ein Lehrer wohl auf Dauer dieser absolut verständlichen und notwendigen Frage ausweichen?

Dann muss man über beide Positionen und über ihre Voraussetzungen und die daraus resultierende Grenze ihrer Aussagemöglichkeit nachdenken. Man muss sagen, von welchen Voraussetzungen die Evolutionslehre ausgeht und mit welchen Kategorien sie ihren Gegenstand erfasst denn diese Kategorien hat ja kein Evolutionswissenschaftler aus seinem Material gewonnen, sondern die trägt er ja an das Material heran.

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