Leserbriefe

Von der Kirche im Stich gelassen

Eugen Wahl, Nürtingen. Zum Artikel „Als ,Friedenshetzer‘ verfemt“ vom 23. Mai. Hermann Umfrid – Sohn des „Friedenshetzers“: Ein ähnliches Schicksal wie das des als „Friedenshetzer“ diffamierten Otto Umfrid musste dessen Sohn Hermann (1892-1934) als Pfarrer im hohenlohischen Niederstetten erleiden.

Am Samstag, 25. März 1933, stürmten SA-Angehörige und Kriminalbeamte (!) aus Heilbronn die Wohnungen jüdischer Bürger und misshandelten diese auf dem Rathaus mit Stahlruten. Einige jüdische Männer wurden anschließend ins KZ deportiert. Am folgenden Sonntag hat Hermann Umfrid dieses Ereignis in seiner Predigt scharf kritisiert. „Was gestern in dieser Stadt geschah, das war nicht recht. Helfet alle, dass der Ehrenschild des deutschen Volkes blank sei.“ Solche Worte stießen jedoch bei den vorgesetzten Kirchenbehörden auf wenig Verständnis. Der Oberkirchenrat in Stuttgart erteilte Pfarrer Hermann Umfrid eine Rüge mit der Begründung, Politik dürfe nicht auf die Kanzel gebracht werden. Mit fast denselben Worten äußerten sich die Vertreter der obersten kirchlichen Leitungsebene 1938 übrigens auch gegenüber Pfarrer Otto Mörike in Kirchheim und seinem Amtsbruder Julius von Jan in Oberlenningen.

Eine Aufforderung Umfrids Ende April 1933 an Landesbischof Wurm, die er zusammen mit zwei auswärtigen Pfarrern (Rudolf Daur und Fritz Pfäfflin) verfasst hatte, zu der massiven Judenverfolgung nicht länger zu schweigen, blieb unbeantwortet. Von seiner eigenen Kirche im Stich gelassen und zunehmend dem Druck der Nationalsozialisten ausgesetzt, die ihm deutlich mit der Einweisung ins KZ gedroht hatten, beging Hermann Umfrid am 21. Januar 1934 Selbstmord. Nach einem Nervenzusammenbruch und aus Sorge, dass seine Familie möglicherweise in Sippenhaft genommen werden könnte, sah der Stadtpfarrer von Niederstetten keinen anderen Ausweg mehr.

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