Leserbriefe

Vieles ist eben nicht unumkehrbar

Dieter Braunmüller, Nürtingen. Unumkehrbar könnte das Unwort des Jahres werden. Von den politischen Leitwölfen und in den Startlöchern sitzenden Investitionslöwen wird es gebraucht, um Standhaftigkeit zu zeigen und ein weiteres Nachdenken und weitere Diskussion um eine euphorieumwobene Idee von 1990 (!) zu verhindern. Auch die Bundeskanzlerin hat sich zu Stuttgart 21 zu Wort gemeldet, obwohl sie noch keinen Bahnkilometer im Großraum Stuttgart zurückgelegt hat und auch die Magistrale von Paris nach Bratislava nie entlangrauschen wird.

Überhaupt zeigt das Wort „Magistrale“ die Abgehobenheit dieses wahnsinnigen Projektes. Es ist ein Affront gegen den öffentlichen Nahverkehr, deren Benutzer die teure Zeche bezahlen müssen. Das jetzt bekannt gewordene neue Stationspreissystem der Bahn ist ein sichtbarer Hinweis. Künftig soll jeder Zughalt an 5400 Bahnhöfen für den öffentlich finanzierten Regional- und Nahverkehr zum Teil deutlich verteuert werden. Den Verkehrsverbünden und Regionalbahnen drohen dadurch erhebliche Kosten. Die unausweichliche Folge davon wären Fahrplanausdünnungen und Streckenstilllegungen.

Der Stuttgarter OB Wolfgang Schuster hat sich in der letzten Fernsehrunde als Nichtbahnfahrer geoutet. Er rechnete vor, dass das Umsteigen im Stuttgarter Kopfbahnhof bei einem 400 Meter langen ICE zu einer Wegstrecke von 1000 Meter führen würde und beim geplanten Tiefbahnhof einem diese Lauferei erspart bleiben würde. Offensichtlich geht Herr Schuster davon aus, dass er aus einem ICE aus- und gegenüber einsteigen könne. Da die Bahn die Erste-Klasse-Abteile immer „im vorderen Wagenbereich“ anhängt, sind diese für Herrn Schuster & Co. reservierten Abteile bei einer Fahrtrichtungsänderung mal vorne und mal hinten. Herr Schuster muss sich also auch bei einem Durchgangsbahnhof auf „Schusters Rappen“ bewegen und wäre auf seiner unterirdischen Wanderung durch enge Bahnsteige und leider häufig nicht funktionierende Aufzüge und Rolltreppen behindert.

Stuttgart 21 ist für mich nicht unumkehrbar. Da bin ich nun einfach Optimist. Auch in Nürtingen schienen viele Projekte unumkehrbar: die Parkhauszufahrt, die Veränderungen der Kreuzkirche, der Kreuzkirchpark, das Steinachbrückle, das Güterbahnhofsgelände, die Hochwasserplanung im Tiefenbachtal und bis zum letzten Montag auch der Bebauungsplan Großer Forst. Man braucht einfach manchmal einen längeren Atem. Und den werden wir alle auch bei der Verhinderung der Neckaruferbebauung brauchen.

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