Leserbriefe

Mehr Wertschätzung für die Schwachen

Roswitha Oberländer, NT-Oberensingen. Zum Artikel „Volkskrankheit Depression: Jeder Fünfte ist betroffen“ vom 8. November. Mir tut jeder Mensch unendlich leid, der sich vor Verzweiflung das Leben nimmt, so wie Herr Enke. Die Hoffnungslosigkeit, die Menschen dazu bringt, ist schrecklich. Ich habe solche Täler immer wieder an eigener Seele durchschritten. Wenn eine prominente Person Depressionen hat und sich tötet, werden Depressionen als eine wirkliche Erkrankung anerkannt. Wenn sich Klinikpatienten nach der Entlassung auf die Schienen legen, interessiert das die Öffentlichkeit nicht. Die psychisch Kranken sind eine Randgruppe, die unbeachtet bleibt.

Meine Großmutter wurde 1940 in Grafeneck vergast, sie litt an Depressionen. Natürlich könnte man meine Erkrankung (Depression) davon ableiten und sie als vererbt ansehen, jedoch da bin ich anderer Meinung. Schlimme Lebensumstände wie Krieg, Tod der eigenen Kinder, Krankheit und Konflikte waren die Auslöser der Depressionen meiner Großmutter, nicht die Veranlagung. Ein Psychiater sagte zu mir, dass die Krankheit nicht vererbbar sei, nur die Dünnhäutigkeit, also die Sensibilität. Ich sowie meine Großmutter sind/waren sehr sensibel und reagierten dementsprechend verletzt auf unsere Umwelt. Ist es ein Verbrechen, sensibel zu sein und darauf mit einer Depression zu antworten?

Ich wünsche mir eine gerechte Welt, wo die Schwachen gestärkt und von ihrer Umwelt wertgeschätzt werden. Ich bin gegen die Herrenmoral, die besagt, dass der Wille der Starken gefördert werden müsse, zu ungunsten der Schwachen. (Friedrich Nietzsche) Man sieht, was daraus geworden ist: Krieg und unendliches Leid!

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