Leserbriefe

Kündigung ist ganz normaler Vorgang

Christoph Röcker, Nürtingen. Zum Artikel „Die Wohnung nach 24 Jahren gekündigt“ vom 12. Februar. Dass ein Mietvertrag gekündigt wird, ist ein ganz normaler Vorgang. Wann das unter welchen Bedingungen zulässig ist, regelt unser Mietrecht. Und wenn es Streit gibt, muss ein Gericht entscheiden. Das ist nichts Besonderes, kommt in Deutschland zigtausend Mal pro Jahr vor und interessiert in der Regel niemand. Dennoch berichtete die Nürtinger Zeitung halbseitig über einen Fall aus Neckartailfingen, an dem ebenfalls nichts besonders ist. Auch nicht die Tatsache, dass der Vermieter die Gemeinde ist, die das Gebäude für die Unterbringung von Asylbewerbern benötigt. Das kann ein berechtigter Kündigungsgrund sein, wie viele andere auch. Also ist das immer noch ein ganz normaler Vorgang! Darüber muss man nicht unbedingt berichten.

Die Nürtinger Zeitung hat es trotzdem getan und ist damit krachend verunglückt. Der Bericht zeichnet ein einseitig emotional aufgeladenes und polarisierendes Bild, das zwischen den Zeilen auf einen Vergleich der Wertigkeit von Menschen unterschiedlicher Herkunft hinauslauft. Das Unglück beginnt in der Unterzeile, die besagt, dass ein 74-Jähriger „ausziehen“ muss, um „Platz für Flüchtlinge zu schaffen“. Die Wiederholung des Alters und der Mietdauer im Lead sowie der daran anschließende Hinweis, dass der Mieter sich „vielfältig für das Gemeinwohl (. . .) einsetzt“, tun ihr Übriges. Darauf folgt ein knapp 60 Zeilen langes Rührstück, das vor nichts Halt macht, um eine mitleiderregende Identifikation mit dem betroffenen Mieter aufzubauen. Dass die darauffolgenden Abschnitte vieles davon relativieren, geht im Wirrwarr von Zitaten aus verschiedenen Stellungnahmen weitestgehend unter und kann die zuvor aufgebauten Emotionen und Empörung nicht auffangen. Es steht zu befürchten, dass diese in vielen Köpfen zu gut in die Schublade „Flüchtlinge“ passen und zu einem vorurteilsfördernden und integrationshemmenden Klima beitragen. Ich frage mich, ob der Artikel genauso ausgefallen wäre, wenn die Gemeinde das Gebäude für eine Kita nutzen wollte – sicher nicht. So etwas will ich nicht lesen müssen. Ich halte es für brandgefährlich!

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