Leserbriefe

Kopfsalat und Fleisch

Raul Guerreiro, Nürtingen. Zum Artikel „Industriepolitik mit Wumms“ und „Gruß aus der Küche“ vom 16. Juni.

Auf Seite 2 der Ausgabe vom 19. Juni erinnert uns Herr Knuf, dass es „Vegetarier in einer Welt der Fleischfresser schwerhaben“. Dann auf Seite 7 wird ein besonderes Museum beschrieben, wo man Kunstwerke direkt im Mund probieren kann: Schokolade, Eiskonfekt, Sauerkrautsaft und so weiter.

Wo ist aber das Fleisch? Es ist total versteckt. Auch jeder Fleischesser versteckt vor sich selbst etwas: die Kenntnis davon, wo Fleisch herkommt. Einen Kopfsalat aus dem Garten wählen, enthaupten, zerstückeln und dann zu essen ist natürlich für jeden ein Genuss. Mit Fleisch ist es ganz anders. Stellen wir uns vor, jemand möchte ein Stück Fleisch ganz natürlich und persönlich vorbereiten (wie bei dem Kopfsalat). Er muss zuerst im freien Feld die schönste Kuh (circa 800 Kilogramm) auswählen. Dann fängt er sie mit einem Seil um den Hals und bringt sie zum Schlachthaus.

Schon dort beginnt die Kuh zu leiden, weil die Luft mit Blutgeruch erfüllt ist. Mit einem Stock oder einer Elektroschockpistole zwingt er sie in den „Todeskorridor“. Am Ende muss er den Kuhkopf durch einen massiven Metallkäfig fixieren. Dann nimmt er einen Schlaghammer, um den Schädel der Kuh zu zerbrechen und ihr Gehirn zu treffen. Das Tier ist nicht sofort bewusstlos, es liegt nur bewegungslos auf dem Boden. Mit einer Kette hebt er das Tier an den Hinterbeinen und durchschneidet seine Halsschlagader. 80 Liter Blut spritzen heraus. Dann öffnet er den ganzen Kadaver und entnimmt Organe, Knochen, Darm, Kot und die ganze Haut. Jetzt hat er eine Unmenge rotes Fleisch und beginnt (wie beim Kopfsalat) die besten Teile zu sortieren. Endlich kehrt er nach Hause in seine Küche, um sein Essen vorzubereiten. Aber wahrscheinlich kann er nichts mehr in den Mund nehmen. Er würde sich erbrechen.

In Zeiten harter Realitäten wie der Coronaepidemie, welche die Kultur und die soziale Ordnung auf unserem Planeten radikal verändern wird, muss es erlaubt sein, diese anderen kleinen Lebensrealitäten zu erwähnen – und sie zu veröffentlichen. Das Coronavirus stammt übrigens von einem kleinen Tier und wurde über einen gigantischen Fleischmarkt in China in die Welt verbreitet (wir dürfen heute an Firma Tönnies in Wiedenbrück erinnern).

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