Leserbriefe

Konfliktrelevante Standpunkte

Christoph Röcker, Nürtingen. Zum Artikel „Wer moderiert Einwohnerversammlung?“ vom 2. März. Dem Artikel ist zu entnehmen, dass der Architekt Professor Dr. Hähnig, der die Bürgerbeteiligung zur Bebauung an der Neckarstraße durchgeführt hat, die Einwohnerversammlung am 25. März moderieren soll. Aus Kreisen der Bürgerinitiative (BI) ist nun zu erfahren, dass die Stadt dazu auch gerne die von der BI favorisierten Pläne hätte. Klingt gut? Ist es aber nicht! Es mag sein, dass ich mich ein wenig in meiner Berufsehre als Berater gekränkt fühle. Aber so darf man das nicht machen. Das sind gleich zwei kapitale Kunstfehler auf einmal.

Was in Nürtingen brodelt, ist ein weit fortgeschrittener Konflikt. Die moralische Integrität hat bereits gelitten. Die Konfliktparteien manövrieren sich immer wieder in Handlungszwänge. Die Schachzüge zielen schon länger darauf die Gegenseite zu „entlarven“, es herrscht die Logik der Verschwörungstheorie. Da hilft es nicht, wenn die Stadt als Konfliktpartei zum Gespräch bittet und die Agenda dafür im Alleingang festlegt. Einen Konfliktbeteiligten als Moderator zu benennen, macht es nicht besser. Es ist auch nicht fair, Herrn Hähnig dem Verdacht des Interessenkonflikts auszusetzen und ins Kreuzfeuer zu stellen. So kann das nichts werden!

Nach den gängigen Modellen zum Konfliktmanagement bräuchte es jetzt eine fundierte Konfliktdiagnose. Sonst wird es schwierig, alle konfliktrelevanten Standpunkte zu beleuchten und die Streitpunkte aufzulösen. Jetzt weiter über Pläne zu reden greift viel zu kurz! Es geht um Grundsatzfragen zur Stadtentwicklung, eine Gartenschau, den Umgang mit Gemeingütern und deren Beitrag für die Stadtgesellschaft, Verfahrensweisen und Vergabekriterien. Dabei alle mitzunehmen wird nicht einfach – muss aber sein, wenn man Gemeinderat und Stadtgesellschaft ein aussagekräftiges Ergebnis vorlegen will. Also warum nicht ein gut gemachtes Großgruppenformat?

Zur Konfliktdiagnose gehört übrigens auch, dass man schaut, ob der aktuelle Streit nur Ausdruck eines tieferliegenden Konflikts ist. In der Konstellation Bürger gegen Stadt ist das brisant. Da landet man schnell bei der Frage nach den Ursachen von Politikverdrossenheit, dem Gefühl von Ohnmacht und Bevormundung, Resignation und Wut. Dann geht es auf einmal um Politikstil und die Frage, wie man die vom Gesetzgeber gewollte „Politik des Gehörtwerdens“ in Nürtingen verwirklichen will.

Zur Startseite