Leserbriefe

Johanneskirche und Turbokapitalismus

Hans-Jürgen Mauser, Nürtingen. Zum Artikel „Johanneskirche weicht Gemeindezentrum“ vom 26. Juli. Als „Auswärtiger“ haben die Wendlingen-Themen in dieser Zeitung zwar nicht die höchste Priorität für mich, dennoch haben mich die Abbruchpläne bezüglich der Johanneskirche und der Unterboihinger Turnhalle aufhorchen lassen.

Beide Orte sind mir nämlich in durchaus positiver Erinnerung, denn beide habe ich schon im Rahmen von dort stattfindenden Konzertveranstaltungen erlebt. Und ich empfinde es erschreckend, mit welcher Vorgehensweise der mittlerweile berühmten „Alternativlosigkeiten“ in Wendlingen agiert wird – offenbar sogar von unterschiedlichen Interessengruppen aus, und wie mittlerweile eine größere Zahl von Orten und Treffpunkten des öffentlichen Lebens eliminiert wird, die mindestens über Jahrzehnte kulturellen, sozialen und nun auch kirchlichen Zwecken und Erlebnissen gedient haben.

In diese Reihe stelle ich nahtlos auch das Verschwinden der Lauter-Turnhalle sowie des ehemaligen Hotels Keim – Letzteres habe ich leider selbst nie von innen erleben können, hatte aber anhand der Berichte über die dortigen Aktivitäten und der (leider sehr wenigen) Fotos einen sehr positiven Eindruck davon.

Eigentlich hatte ich die Hoffnung, dass nach den Sünden der 70er-Jahre (zum Beispiel dem Abriss des Steinernen Baus in Nürtingen, an dessen Stelle der Kasten der Volksbank entstand) mittlerweile ein anderes Denken herrscht und ein gemäßigterer Umgang mit Bauten erfolgt – aber offenbar ist dies nicht der Fall.

Auch Gebäude, die nicht unbedingt historischen „Wert“ haben, können das Stadtbild und/oder die Lebensqualität der Bevölkerung prägen – und ähnlich wie in den 70ern (häufig sogar schlimmer) ist der nach dem Abbruch hingeknallte „Ersatz“ dann in aller Regel eine einem Einheitsbrei entstammende, rechteckige Schuhschachtel ohne jeden Ausdruck und rein auf Nutzwert getrimmt, gegen die sogar mancher 50er- oder 60er-Jahre-Bau mehr bemerkenswerte Details zu bieten hat.

Im aktuellen Fall der Kirche sehe ich nicht nur den Frevel in der möglichen Umsetzung, sondern auch darin, wie gering die Gegenpol-Rolle der Kirche gegenüber der Übermacht aus wirtschaftlichen Interessen und scheinbaren Zwängen zu einem qualitativen Minimalismus des Lebens mittlerweile nur noch ist. Man fügt sich zumindest in Teilen nahtlos in den Kanon von Turbokapitalismus und die ihn unterstützende Politik ein, was sehr nachdenklich stimmt beziehungsweise stimmen sollte.

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