Leserbriefe

„Grundrauschen“ der Ausgrenzung

Michael Maile, Nürtingen. Zum Artikel „Kunzmann kritisiert Rassismus-Demo“ vom 9. Juni. In seinem Post wehrt sich Herr Kunzmann unter anderem gegen den Eindruck, Rassismus wäre in Deutschland so verbreitet wie in Amerika. Deshalb möchte er aus dem Ermordeten George Floyd keine Ikone machen, wie dies aktuell in zahlreichen Demonstrationen auch in Deutschland geschehe.

Diese Auffassung ist nachvollziehbar, auch wenn ich sie nicht teile. Eine Passage in seinen Äußerungen ist jedoch ein anschauliches Beispiel der Diskriminierung. Dem ikonischen Bild stellt er das Bild eines Menschen gegenüber, dem man nicht begegnen möchte. Indem er den „gefährlichen Schwarzen mit Gewaltkarriere“ zeichnet – man sieht förmlich die drohenden, leuchtenden weißen Augen in dunkler Nacht - macht er gerade das, wogegen sich die zahlreichen Demonstrationen wenden: jemanden aufgrund seiner Hautfarbe und seiner Vergangenheit zu bewerten, besser: abzuwerten, und damit die Tat zu relativieren.

Man muss George Floyd nicht zur Ikone machen, aber ihn als Mitschuldigen an seinem Tod abzustempeln, indem gängige Vorurteile zitiert werden, ist genau die Alltagsdiskriminierung, dieses „Grundrauschen der Ausgrenzung“, gegen die sich die Demonstrationen zu Recht wenden. Niemand lebt ohne Vorurteile, aber es gibt keinen Anlass, sie unreflektiert und durch Herabwürdigung zu erneuern. Dabei war sich Herr Kunzmann seiner Worte bewusst. Dies wird in seinem vorangestellten Warnhinweis, dies sei nicht „politisch korrekt“, deutlich.

Wer ihn kennt, spürt die Ironie in seinen Worten. Aber was will er uns damit sagen? Will er „Gutmenschen“ vor Gesundheitsproblemen beim Lesen seines Textes warnen? Oder will er uns zeigen, dass es in Deutschland riskant ist, seine eigene Meinung zu artikulieren? Oder wollte er als Privatmann frei aussprechen, was ihn bewegt – ohne den Zwang zur kalkulierten Kommunikation, die er als Demografiebeauftragter täglich pflegen muss? Einfach mal er selbst sein?

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