Leserbriefe

Glückliches Deutschland

Peter Reinhardt, Neckartenzlingen. Die Geschichten, die derzeit in der Öffentlichkeit um den Bundespräsidenten mit großer Gründlichkeit abgehandelt werden, zeigen doch im Grunde vor allem eines: Deutschland muss ein unglaublich wohlgeordnetes und glückliches Land sein. Über Wochen scheint es kein größeres Problem zu geben als der Kauf eines mäßig großen Hauses mit leicht zweifelhaften Mitteln. Der geldwerte Vorteil seines in der Tat ungeschickten Verhaltens dürfte deutlich unter 50 000 Euro liegen. Größere Probleme sind in Deutschland weit und breit nicht in Sicht. Wenn ein Herr Zetsche 26 Millionen (26 000 000) Euro zum Abschied bekommt, gibt es keinen Grund, nach dem Anstand eines Firmenchefs zu fragen, und kein Journalist sieht es als seine dringende Aufgabe an, mal ganz genau nachzuforschen, was dieser Herr schon alles besitzt und warum er diese Millionen unbedingt braucht. Es fragt auch keiner, was man mit den 26 Millionen sonst hätte Gutes tun können. Keinen interessiert, für wie viele Menschen diese 26 Millionen Euro sehr hilfreich sein könnten, wenn man – zum Beispiel – dieses Geld auf fünf Krankenhäuser verteilen würde.

Es gibt – hurra! – im glücklichen Deutschland keine gewichtigen Probleme! Oder sollten alle anderen Probleme nur deswegen unbedeutend sein, weil sie komplizierter sind als das etwas tollpatschige Verhalten eines Bundespräsidenten? Oder müssen engelgleiche Idealvorstellungen ausschließlich beim Amt eines Bundespräsidenten eingefordert werden? Für Wirtschaftsführer gelten ganz andere Maßstäbe. Zum Glück für die Betroffenen sind deren Finanzgebaren im glücklichen Deutschland uninteressant. Kein Wunder, dass wirklich gute Leute nicht mehr in die Politik gehen. Warum sollten sie auch?

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