Leserbriefe

Erzieher-Mangel zeigt Versagen der Politik

Desiree Fessler, Aichtal-Neuenhaus. Zum Artikel „Ärger über verkürzte Kita-Zeiten in Aichtal“ vom 27. April.

„Um den Personalmangel zu entschärfen, könne man sich vorstellen, dass es Eltern gibt, die sich hier einbringen und unterstützen könnten.“ Bei diesem Satz kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Die meisten Eltern sind in der Organisation von Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon am Limit und bewegen sich konstant am Rande des Möglichen! Der Vorschlag mag nahe liegen und gut gemeint sein, wenn man sich aber nur die Mühe macht, mal zwei Minuten ernsthaft darüber nachzudenken, ist dieser Vorschlag an Geringschätzung von Kindern und Eltern eigentlich nicht zu überbieten. Er ist alles andere als ein Teil der Lösung – ganz im Gegenteil, er versinnbildlicht das Problem! Es sollen also die Eltern aushelfen. Weil sie sonst nichts zu tun haben als umsonst fremde Kinder zu betreuen?

Seit wann können x-beliebige Eltern professionell Kinder betreuen? Seit wann gleicht der Elternstatus einer pädagogischen Ausbildung? Wollen wir es hinnehmen, dass die qualitativ hochwertige Betreuung, die unsere Kinder verdient haben, immer mehr an Stellenwert verliert? Wollen wir es hinnehmen, dass es auch im Jahr 2022 am Ende dann doch wieder als Erstes heißt „Mutti macht das schon“?

Dass die Stadtverwaltung nun in einer Situation ist, in der sie keine andere Wahl hatte, als die Betreuungszeiten zu reduzieren, ist das Ergebnis des Fachkräftemangels im pädagogischen Bereich, vor dem Fachleute seit Jahren warnen – und somit politisches Versagen auf allen Ebenen. Wir tun gut daran, die Lösung für strukturelle Probleme nicht als Erstes immer im Privaten zu suchen, als wären Kinder ausschließlich Privatsache der Eltern (Mütter). Familienpolitik muss endlich den gleichen Stellenwert bekommen wie Wirtschaftspolitik, denn Eltern sind genauso Teil der Wirtschaft!

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