Leserbriefe

Engelsgleiche Supermenschen?

Peter Reinhardt, Neckartenzlingen. Langsam wird es mir unerträglich, mitzuerleben, wie unsere Politiker wieder und wieder moralisch erledigt werden. Werden die höheren Stellen in der Politik und in der Öffentlichkeit nicht eigentlich deswegen besetzt, damit die Gesetzten dort oben gute Arbeit leisten?

Was verlangen wir denn nun noch alles von ihnen? Ist es menschlich, ist es vernünftig, wenn wir von ihnen erwarten, dass sie wie Engel durchs Leben schweben? Haben denn nicht alle Menschen Fehler? Machen denn nicht wir alle von Zeit zu Zeit Fehler? Muss ein jeder Fehler das politische Aus bedeuten?

Da hat eine Bischöfin einmal zu viel getrunken und ist erwischt worden – na ja, soll ja vorkommen. Soll sie ihre Strafe bekommen und sie ist öffentlich blamiert: Und damit war es dann. Genügt das nicht?

Oder ein Verteidigungsminister hat in jugendlichem Geltungsdrang eine Doktorarbeit erschlichen – und das wird aufgedeckt. Gut: er verliert seinen Titel – reicht die dazugehörende Blamage nicht aus? Kann man ihm nicht anschließend lächelnd auf die Schulter klopfen und sagen: „Dumm gelaufen, gell?“. Und damit war’s das dann? Kann er von jetzt an keine gute Arbeit leisten als Minister?

Brauchen wir nicht tüchtige Leute da oben? Wieso haben wir einen Anspruch auf engelgleiche Supermenschen?

Und jetzt geht das Gehetze von Presse und Opposition schon wieder los: Sachlich lag Verteidigungminister de Maizière allem Anschein nach gar nicht so furchtbar falsch. Aber er hat im Umgang mit dem Projekt Fehler gemacht – nun ja. Aber ist er deswegen total unfähig?

Aber freilich: Es ist einfacher und primitiver, auf einem speziellen Fehler herumzuhacken und den genüsslich und heuchlerisch breitzutreten, als sich mit einer Amtsführung auseinanderzusetzen.

Es heißt: Er habe wohl sein Ministerium nicht voll im Griff. Was steckt da für eine Vorstellung dahinter? Wer hat denn je eine derart große Behörde wirklich „im Griff?“ Unverzeihlich? Eine kindische Vorstellung – aber scheinbar kommt sie in der Öffentlichkeit gut an. Und die Folgen? Wer gut und vernünftig ist, setzt sich derartigen Anforderungen gar nicht mehr aus. Und die, die in die Verantwortung gegangen sind, müssen einen erheblichen Teil ihrer Energie darauf verwenden, nur ja nirgends anzuecken. Das kann nur zu Lasten der Qualität gehen.

Und so sieht es ja da oben auch aus. Was wollen wir denn? Wollen wir tüchtige Leute da oben haben, die etwas zum Nutzen des Landes bewegen? Oder wollen wir lieber blasse Figuren, die möglichst wenig auffallen und vor allem an ihr Fortkommen denken – und die Sachen (zum Beispiel die Energiepolitik) schönredend schleifen lassen? Ein horrender Unfug.

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