Leserbriefe

Eine Viertelstunde schneller nach Ulm

Eckhard Finckh, Nürtingen. Zu den Artikeln „Bahn startet die letzte Umbauetappe“ vom 24. Mai und „Neue Leitung für das Milliardenprojekt“ vom 28. Mai. Beide Artikel zeigen, dass der Wahnsinn des S-21-Bauvorhabens ungebremst weitergeführt wird. Kein Blick mehr auf die Kosten-Nutzen-Rechnung des Vorhabens, kein Blick mehr auf alle juristischen Bedenken oder sicherheitstechnische Probleme, die an die Verantwortlichen herangetragen werden.

Jetzt wird also eine bestehende und funktionierende Infrastruktur weiter demoliert. Wir erleben die Vernichtung von Ressourcen ohne irgendwelche ethischen Bedenken. Und die rund 220 000 Pendler und Reisenden pro Tag erfahren am eigenen Leib, was das Gegenteil von Kundenfreundlichkeit ist – nämlich Kundenfeindschaft. Sie dürfen sich auf nervende Behinderungen und längere Wege im Bahnhof gefasst machen.

Die Prognosen von Bahn und Verkehrsclub Deutschland (VCD) gehen auseinander. Nehmen wir mal das Mittel von zehn Minuten Zeitverlust für jeden Reisenden. Dann raubt die Bahn ihren Kunden in Stuttgart jeden Tag zwei Millionen Minuten oder 36 000 Stunden oder 1527 Tage Lebenszeit! Jeden Tag, auf unabsehbar lange Zeit.

Wofür bringen die Reisenden dieses Opfer? Unglaublich aber wahr: dass in zehn bis 15 Jahren einige Menschen eine Viertelstunde schneller nach Ulm kommen. Und dass Wolfgang Drexler und andere Politiker diese Zeit auch einsparen, wenn sie nach Bratislava per Zug fahren.

Und schon wartet der Bahnvorstand mit neuen Management-Ideen auf, die den ganzen Wahnsinn, der sich abspielt, verschleiern sollen. Ein neues Unternehmen wird gegründet mit dem Namen „DB Projekt Stuttgart–Ulm GmbH“. Da gibt es vier Geschäftsfelder mit vielen neuen Schreibtischen. Ob das Kosten einspart, ist fraglich. Aber sicher ist, dass es immer schwieriger werden wird, irgendwelche Verantwortlichen im Falle eines fortschreitenden Bau-Debakels überhaupt ausfindig zu machen, geschweige denn zur Rechenschaft zu ziehen.

Und wozu der ganze Aufwand? Ich sage es noch mal: um eine Viertelstunde schneller nach Ulm zu kommen. So sehen Jahrhundertprojekte aus.

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