Leserbriefe

Ein Bauernopfer von Erdogan?

Dr. Johannes Heimann, Nürtingen. Zum Artikel „Türkei will Flüchtlinge nach Europa ziehen lassen“ vom 29. Februar. Wenn eine Geschichte nicht von Anfang an erzählt wird, ergeben sich nur Fehlschlüsse. Anfang 2011 kam es im Rahmen des „Arabischen Frühlings“ auch in Syrien zu Massenprotesten, die Präsident Baschar al-Assad gewaltsam niederschlagen ließ. Dies nahmen die USA zum Anlass, einen „regime change“ einzuleiten. Der Grund: nicht die Menschenrechtslage (sonst müssten sie in Ägypten und vor allem Saudi-Arabien zuerst intervenieren), sondern die Tatsache, dass Syrien und Iran die einzigen Staaten im Nahen Osten sind, die nicht nach der US-amerikanischen Pfeife tanzen.

Assads Politik könnte man so umschreiben: „Ihr dürft glauben, was ihr wollt, eure Religion interessiert uns nicht – aber wagt nicht, die Machtfrage zu stellen. Dann schlagen wir brutal zu.“ Die USA erfanden eine demokratische Opposition, die es nicht gab, und unterstützte sie massiv mit Waffen: die wahren Empfänger waren radikale sunnitische Islamisten: Islamischer Staat (!), Al-Nusrah-Front und Al-Khaida. In weiten Teilen Syriens wurde ein nicht-islamistisches System durch radikale Islamisten ersetzt. Den politischen extremen Islamismus haben die USA also selbst mitbefördert. Offiziell erst im Sommer 2014 begannen sie – völkerrechtswidrig – mit massiven Luftangriffen gegen das Assad-Regime.

Doch der „regime change“ misslang. Dies zu akzeptieren fiel den USA schwer. Den Islamischen Staat wollte man jetzt nicht mehr. Erst seit September 2015 sind russische Soldaten in den Krieg verwickelt. Formal gesehen ist die Anwesenheit russischer Soldaten nicht völkerrechtswidrig – Assad hatte sie ins Land gerufen. Der Konflikt wurde zunehmend zum Stellvertreter-Krieg: (USA/Saudi-Arabien/Türkei/Teile der NATO gegen Assad/Iran/Russland). Die Türkei ist eigenständig wegen der Kurden in Syrien eingedrungen, ist also Aggressor. Die jetzt von Syrien/Russland getöteten türkischen Soldaten fielen auf syrischem Boden. Ein Bauernopfer Erdogans, um seine ganz eigene Politik zu legitimieren? Die einseitige Parteinahme von Maas und Merkel ist problematisch.

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