Leserbriefe

Die Vorzüge der Gemeinschaftsschule

Reinmar Wipper, Nürtingen. Zum Artikel „CDU trommelt gegen Gemeinschaftsschule“ vom 27. Januar. Bereits vor 100 Jahren ist in den USA beobachtet worden, dass Kinder und Jugendliche in ihren gleichaltrigen Gruppen mehr Entwicklungsimpulse erhalten als von Eltern und Lehrern. Die grundlegende Wechselwirkung in diesen „Peer-Groups“ (Peers gleich ungefähr Gleichaltrige) gilt auch für das schulische Lernen, wie man inzwischen weiß. Ich selber habe das quasi nebenbei begreifen müssen, im jahrzehntelangen Unterricht und in buchstäblich allen Bildungsstufen, von der Förderstufe bis zum Abitur. Und heute, als Rentner, steht dies ganz oben in der Bilanz meiner Zeit als Lehrer: Nicht allein die Vermittlung von Wissen, von oben nach unten, fördert Bildung und Entwicklung. Noch viel mehr wird dies garantiert durch die Wechselwirkungen zwischen den Gruppenmitgliedern.

Der Lehrer ist nicht Nürnberger Trichter, sondern Motivator und Moderator dieser Gruppenprozesse. Und das gelingt besonders, wenn die Gruppenmitglieder verschieden ausgestattet sind mit Intelligenz, Tempo, Körpergewandtheit, Koordination und Kreativität, eingeschränkt oder im Vollbesitz der Kräfte.

Zu lange schon werden Kinder nach dumm oder gescheit sortiert. Sie unterscheiden sich indessen durch ihre Schwerpunkte, denn jeder Mensch kann etwas, was nur dieser Mensch kann. Flinke Kinder werden durch langsamere nicht gebremst, aber langsamere beschleunigen neben den flinken. Leider sind diese Einsichten noch nicht überall Grundlage der Bildungspolitik. Im Gegenteil, manche Leute „trommeln gegen Gemeinschaftsschule“, wie eine Pressemitteilung der CDU überschrieben war. In vier Spalten Text habe ich umsonst nach einer begründeten Aussage zur Gemeinschaftsschule gesucht. Aber zwei Unterstellungen waren zu finden: Die Gemeinschaftsschule sei „ideologisch motiviert“ und ihre Befürworter „scheuten offenbar den Vergleich“ mit dem dreigliedrigen Schulsystem. Das ist zu wenig und zu schlicht, um einen bildungspolitischen Dialog führen zu wollen.

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