Leserbriefe

Die Politik muss dem Wohl aller dienen

Kai Hansen, Nürtingen. Zur Senioren-Redaktionsseite vom 2. Juli.

Um zu verstehen, warum Demokratie für eine friedliche Gesellschaft unverzichtbar ist, lohnt der Blick auf deren Gegenteil. Ein Anti-Demokrat verleugnet nämlich sich selbst als Individuum und passt sich einer andere(s) ausschließenden Gruppenidentität an.

Deutlich ist, Demokratie ist keine einfache Sache. Denn jeder Mensch pendelt permanent hin und her zwischen der Sicherheit durch Gruppenzugehörigkeit und dem Bedürfnis, Eigenes zur Geltung zu bringen. Das eine hat mit Freiheit zu tun, das in Gemeinschaft-leben mit Verantwortung. Die westlichen Demokratien mit ihrer grenzenlosen Wahlfreiheit verantworten einen Großteil der bestehenden Krisenthemen auf dem Planeten.

Jetzt erleben wir sogar Krieg gegen die Demokratie und es haben totalitäre Kräfte Zulauf. Da lohnt es sich schon, neu und miteinander zu verhandeln, was zukünftig als fortschrittlich gelten soll.

In Bezug auf politische Parteien schreibt die französische Philosophin Simone Weil in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts: „Eine politische Partei dient der Erzeugung kollektiver Leidenschaft. Eine politische Partei ist so organisiert, dass sie kollektiven Druck auf das Denken jedes einzelnen Menschen ausübt, der ihr angehört. Erstes und genau genommen einziges Ziel jeder politischen Partei ist ihr eigenes – unbegrenztes – Wachstum.“ Diese harte Kritik weist auf totalitäre Tendenzen in jeder Form von Gruppenegoismus hin.

Klar: Die rechtsstaatliche Gewaltenteilung, die repräsentative Demokratie sichern Grundwerte. Aber wessen Fortschritt wird da repräsentiert? Reicht es aus, wählen zu können, ob man eher liberal, konservativ, ökologisch oder sozial eingestellt ist, wenn liberal mit Marktradikalität, konservativ mit purer Besitzstandswahrung, ökologisch mit Genuss-Verzicht, sozial mit Almosen gleichzusetzen ist?

Nein. Demokratie braucht eine erkennbar dem Wohl allen Daseins dienende Politik, deren Sinnhaftigkeit durch Chancen zur Teilhabe mitgetragen werden kann. Schon ab dem kommunalen Bereich braucht es neues Zutrauen zu Mitbestimmung und eine Entwicklung hin zu mehr Verantwortungs-Freiheit. Das geht jeden einzelnen Bürger an. Nicht die Mehrung parteilicher Vorteile trägt bei zu einer gesellschaftlich auskömmlichen Zukunft, sondern eine geteilte und mitverantwortliche Freiheit. Das ist Demokratie.

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