Leserbriefe

Die Konsequenzen bleiben nicht aus

Reinmar Wipper, NT-Roßdorf. Zu den Artikeln „Das andere Abitur“ und „Abitur in Ausnahmezeit der Pandemie“ vom 3. Mai. Seit Corona übertreffen sich Politiker und Medien sowie etwa 50 Millionen Virologen, Statistiker und Propheten darin, diese Krise gesund und zu einem guten Ende zu beten. Im Schulsystem, ehemals mein Job, konnte ich ein Heer von Hamstern in ihren Rädchen beobachten. Alle warfen alles an die Front, was sie an Online-Erfahrungen und Krisenmanagement in petto hatten oder sich im Crashverfahren aneigneten.

Herausgekommen sind dabei vor allem belämmernde Einsichten und uneinholbare Versäumnisse. Die könnte ich hier aufzählen, beschränke mich aber auf eine einzige, verheerend einfache und verheerend verstörende Bilanz dieser anderthalb „Schuljahre“.

Mein Enkelsohn ist 18, besucht eines der Nürtinger Gymnasien und hat in der Oberstufe (Kurssystem ab Klasse 11) gerade mal 25 Prozent des regulären Schulunterrichts erlebt. Und damit geht er jetzt in die Abiturprüfungen. Ohne Diskussionen, Meinungsaustausch und Wortgefechte, die er liebt und gebraucht hätte, ohne nennenswerten Austausch und Kontakt zu Lehrern, vor allem zu Mitschülern und seinen Kumpels. Ohne Berufsorientierung oder Studienberatung. Ohne Perspektiven, die man uns zu meiner Zeit geradezu auf den Leib geschneidert hat. Vor 60 Jahren.

Es gäbe noch mehr aufzuzählen, vor allem hinsichtlich Gemüt, Isolation, Resignation und Zukunftssorgen. Letztlich eine Katastrophe, die aber nirgends auffällt, weil sich ihre wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, menschlichen und gesundheitlichen, beruflichen und lebenstauglichen Konsequenzen erst später auswirken werden. Und da streiten sich die Leute, ob man abends schon um neune oder erst um zehne zu Hause sein soll. Es ist zum Heulen.

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