Leserbriefe

Die Grundrechte genau abwägen

Simon Kromer, Wendlingen. Zum Artikel „Kampf um mehr Wertschätzung“ vom 12. Juni. Der Autor geht davon aus, dass Fitness-Studios aus ihrer Vernachlässigung in der Corona-Krise „eine Lehre“ ziehen sollten. Es „muss nun eine Hauptaufgabe sein“, den Klischees der „Muckibude“ und der „Kraftprotze“ entgegenzutreten. So was, und da dachte ich, wenn der Staat massiv in Grundrechte eingreift und Unternehmen die Existenzgrundlage streitig macht, muss er – genau wie diesen Prozess begleitende Journalisten – das sehr genau begründen und vorsichtig mit anderen Grundrechten abwägen, um dazu überhaupt berechtigt zu sein.

Eine ganze Branche, deren Job es ist, die Gesundheit der Menschen vorbeugend zu fördern, wird ausgerechnet in einer Pandemie komplett lahmgelegt, trägt aber eine Mitschuld daran, dass man sie ignoriert? Nein, in Zeiten, in denen andere gesellschaftliche Gruppen sich so empfindsam gerieren, dass der Duden mit Stilblüten wie „Gästin“ neu aufgelegt werden muss, verwundert es doch sehr, wenn diese duldsamen Unternehmer, die die größten Eingriffe in die persönliche Freiheit seit dem Zweiten Weltkrieg einfach so hinnehmen, sich nicht darüber beklagen sollen, dass ein Teil der Gesellschaft sie nur als tumbe, muskelbepackte Hohlköpfe wahrnimmt. Ganz abgesehen davon sollte sich niemand hinterfragen müssen, der einfach seiner Arbeit nachgehen oder seinen Körper entwickeln möchte. Die BRD ist immer noch ein demokratischer Rechtsstaat und wenn jemand daran gehindert wird, sich frei zu bewegen oder ein Geschäft zu führen, ist es garantiert nicht diese arme Seele, die sich dafür rechtfertigen muss. Langsam wird deutlich, dass der Staat sich bei der Bewältigung dieser Krise in vielen Bereichen verrechnet und fahrlässig verhalten hat. Die Bürger seines Landes sind aber der falsche Platz, um auch nur einen Teil dieser Schuld abzuwälzen.

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